Mittwoch, 21. April 2021

Rezension: Afrikas Kampf um seine Kunst

C.H. Beck
Rezension

BÉNÉDICTE  SAVOY

AFRIKAS  KAMPF  UM  SEINE  KUNST - Geschichte einer postkolonialen Niederlage

Seit der Unabhängigkeit vieler afrikanischer und asiatischer Staaten fordern diese mit Recht ihre Kunstschätze zurück, die sich in europäischen und deutschen Museen befinden.

Professorin Bénédicte Savoy untersucht in ihrem überaus lesenswerten Buch die „endlose“ Geschichte der Forderungen, Anfragen, Bitten auf der afrikanischen (und asiatischen) Seite und die Abweisung, Ablehnung, Verweigerung und Nichtbeachtung auf europäischer und deutscher Seite. 

Worum geht es genau ?

Konkret fordert Nigeria von Großbritannien den umfangreichen Schatz der wertvollen Benin-Bronzen, der 1897 von britischen Truppen „gewaltsam“ geraubt und von London aus in andere europäische Länder, darunter Deutschland (1900 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz) verkauft wurde.

Benin fordert von Frankreich 26 Gegenstände, Kongo von Belgien 200 Werke, ebenso Zaire, Ghana fordert von Großbritannien die „Asante-Regalien“, Sri Lanka möchte gern 16 Holzmasken von Deutschland und 20 Objekte vom Britischen Museum, Tanzania hätte gern einige Objekte von Deutschland zurück, ebenso Kamerun und Togo.

Für die afrikanischen Staaten geht es nicht nur um die Objekte, sondern auch um die Aufarbeitung ihrer Kolonialerfahrungen, ihre Geschichte und Kulturgüter, die den nachfolgenden Generationen vorenthalten werden.

Ab 1971 wurden aus den Forderungen nur noch Anfragen für (Dauer)Leihgaben einzelner Objekte mit symbolischer Bedeutung. 

Dass es sich bei den Anfragen nur um „einige wenige Objekte“ geht, wie bereits in der Einleitung im Buch dargestellt, und gar nicht einmal um ganze Sammlungen und dass diese auch oft nur ausgeliehen werden sollten, wurde von den europäischen und deutschen Museumsdirektoren großzügig überlesen oder überhört bzw. ignoriert. Befürchtete man doch „leere Museen“ in Europa, was so gar nicht stimmt, denn auch die Depots sind bis heute voll von „kolonialem Beutegut“.

Mitte der 1970er Jahre gelangte das Thema in den Blickwinkel der Öffentlichkeit, es erschienen Zeitungsartikel, Filme und auch das Fernsehen berichtete später.  Sofort verteidigten sich die Museumsverantwortlichen mit dem so oft wiederholten Phrasen die Objekte „kamen auf legalem Weg zu uns“ oder wurden „geschenkt“ bzw. „gekauft“ und eine Rückgabe sei strikt abzulehnen, um den „Nationalismus der Entwicklungsländer“ nicht nachzugeben. 

Nun einer scherte aus dem Kanon aus. Herbert Ganslmayr, Direktor des Bremer Übersee-Museums setzte sich für die Rückgaben ein und wurde von seinen Kollegen in Stuttgart, Berlin u.a. von künftigen Diskussionen ausgeschlossen, was diesen nicht hinderte auf internationalem Parkett weiter zu arbeiten, war er doch gut vernetzt und hatte einige Zeit in Nigeria gearbeitet.


Im Buch wird deutlich gemacht, wie sich und mit welchen fadenscheinigen Argumenten die Museumsdirektoren in Europa und gerade in Deutschland aus der Affaire zogen. Sie schoben die Restitutionsforderungen den Politikern zu und diese wiederum den Direktoren. Leider zogen die Afrikaner und Asiaten dabei den Kürzeren, bis sie allmählich entnervt ihre Anfragen fast aufgaben. Da wurde das Thema plötzlich in Europa interessant, denn nun forderte das europäische Griechenland vom europäischen Großbritannien den Pantheon-Fries (Elgin-Marmorstücke) zurück. Nun wurde die Restitutionsfrage eine europäische und die Afrikaner und Asiaten „rieben sich die Augen“.
Doch inzwischen hatten sie selbst Museen gebaut und gerade in Nigeria wurde eine Ausstellung auf Reisen geschickt, die 1985 auch in der ehemaligen DDR auf großes Interesse und Beachtung stieß. Schon 1980 konnte es sich Nigeria „leisten“ vier Objekte von London zurückzukaufen.

Bis heute gibt es keine klaren Aussagen von Seiten der Politik und den Museen zu den berechtigten Restitutionsforderungen. Immer noch werden Anfragen hinausgezögert und verdrängt und dass es noch immer keine vollständigen Bestandslisten der kolonialen  Objekte  gibt, zeigt die bis heute bestehende Arroganz, Ignoranz und Angst darüber, die Objekte zurückgeben zu müssen.


Die 16 Kapitel des Buches umfassen 20 Jahre von 1965 bis 1985 zuzüglich Epilog, die die umfangreiche Recherche in (geheimen) Archiven, Museen, Fernsehbeiträgen, Korrespondenzen zur Restitutionsfrage aufzeigen. Zuzüglich Einleitung, Zeittafel, umfangreiche Anmerkungen, Quellen, Literatur, Bildnachweis und Personenregister auf insgesamt 256 Seiten.

Mit der für Dezember letzten Jahres geplanten Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin, das dazu Teile des  Benin-Schatzes zeigen wollte, wurde eine erneute Diskussion um Restitutionen angestoßen. Da erscheint dieses Buch genau zum richtigen Zeitpunkt, um die Geschichte aufzuzeigen und um die Öffentlichkeit nochmals auf diese jahrelangen Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, und um Diskussionen, die bereits in den 1960er Jahren geführt wurden.

Fazit:
Ein wichtiges Buch, das hoffentlich dazu beiträgt, den berechtigten Restitutionsfragen nachzugeben und nur noch das „Wie“ zu diskutieren. Es macht betroffen und wütend über die Ausreden, die sich überhebliche Museumsdirektoren leisteten und darüber, dass bis heute keine Rückgaben erfolgten.

Es ist mit nichts zu entschuldigen, die geforderten Objekte sind zurückzugeben. Deutsche und europäische Museen werden dadurch nicht ärmer.

Nachtrag:

Am 30. April 2021 berichtet der Bayerische Rundfunk (B5 aktuell Kultur um 6.25 Uhr), dass die berühmten Benin-Bronzen im Laufe des nächsten Jahres nach Nigeria zurückgegeben werden. Dies teilte Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters gestern, am 29. April 2021 nach Diskussionen mit den betroffenen Museumsdirektoren, Ministerien und einem intensiven Dialog mit den Herkunftsländern mit. Sie sagte, dass Deutschland „sich seiner moralischen und historischen Verantwortung“ bewusst ist. Bis Mitte Juli sollen Inventarlisten vorliegen und „im Verlauf des Jahres 2022“ die Bronzen zurückgegeben werden. Es wird auch überlegt, „ob und wie einige Benin-Bronzen (als Leihgaben) in Deutschland als kulturelles Erbe der Menschheit gezeigt werden können.“ sagte Ministerin Grütters.

Weiterführende Informationen:
Gibt man heute im Internet den Begriff „Restitutionsforderungen“ ein, erscheinen viele interessante Ergebnisse.

2018 ging Paul Starzmann im Tagesspiegel der Frage nach: „Kolonialismus: Wie viel Raubkunst besitzen die Deutschen ?https://www.tagesspiegel.de/politik/kolonialismus-wie-viel-raubkunst-besitzen-die-deutschen/23225654.html 

Bereits am 12.05.2019 äussert sich Bénédicte Savoy im Deutschlandfunk Kultur zum Thema: An manchen Objekten klebt Blut https://www.deutschlandfunkkultur.de/benedicte-savoy-ueber-kolonialen-kunstraub-an-manchen.974.de.html?dram:article_id=448435


Und zur geplanten Eröffnung des Humboldt-Forums schreibt Marcus Woeller am 15.12.2020 in der Welt (Kultur): „Die Schloss-Party-Crasher“: https://www.welt.de/kultur/architektur/article222502978/Humboldt-Forum-Die-Schloss-Party-Crasher.html und die weiterführenden Links im Artikel: „Alles nur geklaut“ und „Von Togo lernen“.

Besonders aufschlussreich sind die Einträge bei Wikipedia unter: Benin-Bronzen, vor allem die Einzelnachweise von 2020 und ganz aktuell vom März 2021. https://de.wikipedia.org/wiki/Benin-Bronzen

Können sich die Verantwortlichen noch herausreden und werden die Museumsstücke nun zurückgegeben und wann ? „Versprechen oder Versprecher“ von Jörg Häntzschel in der Süddeutschen Zeitung vom 22.03.2021  https://www.sueddeutsche.de/kultur/museen-benin-bronzen-rueckgabe-humboldt-forum-1.5243677