Montag, 26. Juni 2017

Rezension: Die acht Lektionen der Wüste

dumont
Rezension

NICHOLAS  JUBBER

DIE  ACHT  LEKTIONEN  DER  WÜSTE 
- Mit den Nomaden Nordafrikas nach Timbuktu -

Wer traut sich heute noch nach Timbuktu zu reisen ?
Der erfahrene britische Journalist Nicholas Jubber kam nicht zum ersten Mal in Timbuktu an. Aber seltener war sein Besuch gefährlicher als zur Zeit.

Auslöser für seine Reise war unter anderem die „Beschreibung Afrikas“ des Hasan ibn Muḥammed al-Wazzān al-Fāsī, in Europa besser bekannt als Leo Africanus, die Geisel des Papstes Leo X.. Und sein Wunsch, das heutige Leben der Nomaden in Nord- und Westafrika kennen zu lernen und einige Zeit mit ihnen zu arbeiten.

Wer sind Nomaden ? Sind sie noch so frei, wie sie es sich wünschen und Jahrtausende leben konnten ? Heute wohl nicht mehr. Nomaden sind Viehhirten auf der Suche nach guten Weideplätzen, die immer seltener werden. Sie versorgen die Stadtbevölkerung mit Milch und Fleisch und erhalten dafür Lebensmittel und andere nützliche Dinge für ihre Familien. 
Doch der Verkauf von Staatsland an Privatleute und Landgrabbing außerafrikanischer Staaten machen ihnen mehr zu schaffen als Dürren. Dazu kommt das Banditentum und der Terror von Dschihadisten wie Ansar ed-Din oder Boko Haram sowie Al Qaida bzw. IS-Ableger, die nicht nur Nomaden sondern auch die Stadtbevölkerung angreifen, wie in Timbuktu und Gao in Mali oder Städten wie Kano und Maiduguru in Nordnigeria.

Zu Zeiten des Reisenden des Leo Africanus griffen Marokkaner Timbuktu an (1591) und zerstörten die Universitäten der Gelehrten, Richter und Forscher islamischen Rechts auf der Suche nach Gold.
426 Jahre später zerstören Islamisten erneut das „Traumziel“ vieler Sahara-Reisender früherer Jahre. Sie suchen weder Gold noch Land, sondern leben ihre bestialische Macht aus, die sie dank ihrer Waffen aus westlichen Ländern auskosten. Natürlich ergibt dies aus Sicht ehemaliger Kolonialstaaten und ihrer Marionettenpräsidenten einen Sinn, weil diese sich nur für die Ausbeutung von Bodenschätzen unter dem Sahara-Sand interessieren und denen die Nomaden und eigentlichen „Besitzer“ der Wüste sowie der Stadt- und Flussbevölkerung Malis und Nigers völlig egal sind. Einfacher ist es Banditen und Söldner in die Wüste zu senden und die Bevölkerung zu terrorisieren und zu töten als mit ihnen in Verhandlungen zu treten und den Profit der Ausbeutung zu teilen!
Einwohner Timbuktus, mit denen der Autor gesprochen hat, vergleichen die beiden Tragödien miteinander - so nah ist die Geschichte in den Köpfen der Menschen vor Ort.

Timbuktu wurde von Tuareg vor rund Eintausend Jahren gegründet, so erfährt Nicholas Jubber von einem bekannten malischen Historiker. Eine Frau namens Buktu versorgte Gepäck und Waren, die von den Tuareg während ihrer Wanderungen zurückgelassen wurden. Aus „Tin Buktu“ - der Platz der Buktu wurde im Laufe der Geschichte Timbuktu, die Mysteriöse.

Während seiner Reise lernt der Autor verschiedene Nomadengruppen kennen. Ausgangspunkt der Reise ist Fez, die älteste arabische Stadt in Marokko. Hier arbeitete er mit den bekannten Gerbern im Souk. Im Verlauf der Reise lernt der Autor den Unterschied zwischen den arabischen Stadtbewohnern und den Berbern kennen, die immer weiter in die Atlas-Berge abgedrängt wurden. „Wenn du einen Araber triffst, hast du immer eine Schlange vor dir.“ erzählt ein Bergbewohner. „Die Araber haben eine Menge versprochen, aber nichts gehalten,“ führt er weiter aus. Wenn die Menschen aus den Dörfern in der Stadt nach Arbeit suchen, erhalten sie von den Arabern keine Arbeit, „weil sie angeblich kein gutes Arabisch sprechen. Unser Land hat ein Menge wirtschaftliche Probleme, aber die Amazighren (Berber) leiden am meisten darunter“.

In Laâyouni lernt Nicholas Jubber die Sahraouis kennen, deren Kampf um die Unabhängigkeit von der Besatzungsmacht Marokko schon über 40 Jahre dauert und der 1975 mit dem „Grünen Marsch“ des marokkanischen Königs Hassan II. begann.
Die Bozo-Fischer folgen den Fischwanderungen im Nigerfluss. Die Fulbe-Hirten wandern seit Jahrtausenden durch die Sahelländer und haben es zunehmend schwerer ausreichend Futter für ihre Kühe zu finden. Wenn die Kühe immer magerer werden, müssen die Familien mit immer weniger Milch auskommen. Außerdem gibt es Streitereien mit anderen Fulbe oder den Dogon, den bekannten Zwiebelbauern in Mali, um die Weideplätze. Allerdings profitieren die Dogon auch, wenn beispielsweise die Tiere der Fulbe die Felder der Dogon mit ihrem Kot düngen.

Mit den bekanntesten Nomaden, den Tuareg, möchte der Autor die berühmte Azalai, die Karawane reiten, bei der die Tuareg im Norden Malis Salzplatten von Taoudenni nach Timbuktu bringen. Dafür lernt er die 8 Lektionen der Wüste: Beharrlichkeit, Überwindung, Weitsicht, Kreativität, Bildung, Tradition, Klarheit und Geduld - und das Tee-Kochen, mit eher weniger Erfolg (aus Sicht der Tuareg).

Doch bevor er sein Vorhaben verwirklichen kann, machen ihm die Ereignisse 2012 einen Strich durch die Rechnung und die Erzählungen der Einwohner von Timbuktu einige Jahre später bedrücken nicht nur den Autor sondern auch den Leser.

Nicholas Jubber beschreibt neben den acht Lektionen der Wüste auch in acht Teilen die Regionen seiner Reise: das Nirgendwo, die Stadt, das Gebirge, die Wüste, die Hochebene, die Ebene, den Fluss und nochmal das Nirgendwo der Sahara.
Sein Resumée: „Wenn irgendjemand den Weltuntergang überlebt, dann sind es nicht die Actionhelden der Hollywoodfilme, sondern Nomaden wie die, die ich in Nordafrika kennengelernt habe.“

Autor:
Nicholas Jubber, geb. 1977, ist ein britischer Autor und Journalist. Nach seinem Studium an der Oxford University lebte er mehrere Jahre in Jerusalem. Als 2000 die zweite Intifada ausbrach, reiste er durch den Mittleren Osten und Ostafrika und berichtete von dort für den Guardian, den Observer, die BBC u.a. Mit Unterbrechungen, insgesamt jedoch sechs Jahre lang, ist Nicholas Jubber mit den Nomaden Nordafrikas gereist - länger als jeder andere Europäer im letzten Jahrzehnt. „Die acht Lektionen der Wüste“ (The Timbuktu School of Nomads: Across the Sahara in the Shadow of Jihad , 2016) ist sein drittes Buch und das erste, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Fazit:
Ein beeindruckendes und interessantes Buch, das am Ende immer spannender, aber auch bedrückender wird.
Der couragierte Autor gibt das Erlebte lebendig geschrieben wieder und beschreibt mit großem Einfühlungsvermögen das heutige Leben der Nomaden-Bewohner der bereisten Länder Marokko, Westsahara, Mauretanien und Mali.
Das Buch ist nie langweilig, Historisches und Aktuelles ergänzen sich, selbst Shakespeare wird zitiert. Der angenehme Stil des Ich-Erzählers ist gut und flüssig zu lesen.
Auch wer jetzt nicht nach Timbuktu reisen möchte, sich aber trotzdem für das Leben der Nomaden in diesem Teil der Welt interessiert, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.