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NICHOLAS JUBBER
DIE ACHT LEKTIONEN DER WÜSTE
- Mit den Nomaden Nordafrikas nach Timbuktu -
Wer traut sich heute noch nach Timbuktu zu reisen ?
Der erfahrene britische Journalist Nicholas Jubber kam
nicht zum ersten Mal in Timbuktu an. Aber seltener war sein Besuch gefährlicher
als zur Zeit.
Auslöser für seine Reise war unter anderem die „Beschreibung
Afrikas“ des Hasan ibn Muḥammed al-Wazzān al-Fāsī, in Europa besser bekannt als
Leo Africanus, die Geisel des Papstes Leo X.. Und sein Wunsch, das heutige Leben
der Nomaden in Nord- und Westafrika kennen zu lernen und einige Zeit mit ihnen
zu arbeiten.
Wer sind Nomaden ? Sind sie noch so frei, wie sie es sich
wünschen und Jahrtausende leben konnten ? Heute wohl nicht mehr. Nomaden sind
Viehhirten auf der Suche nach guten Weideplätzen, die immer seltener werden.
Sie versorgen die Stadtbevölkerung mit Milch und Fleisch und erhalten dafür
Lebensmittel und andere nützliche Dinge für ihre Familien.
Doch der Verkauf von Staatsland an Privatleute und
Landgrabbing außerafrikanischer Staaten machen ihnen mehr zu schaffen als
Dürren. Dazu kommt das Banditentum und der Terror von Dschihadisten wie Ansar
ed-Din oder Boko Haram sowie Al Qaida bzw. IS-Ableger, die nicht nur Nomaden
sondern auch die Stadtbevölkerung angreifen, wie in Timbuktu und Gao in Mali
oder Städten wie Kano und Maiduguru in Nordnigeria.
Zu Zeiten des Reisenden des Leo Africanus griffen Marokkaner
Timbuktu an (1591) und zerstörten die Universitäten der Gelehrten, Richter und
Forscher islamischen Rechts auf der Suche nach Gold.
426 Jahre später zerstören Islamisten erneut das „Traumziel“
vieler Sahara-Reisender früherer Jahre. Sie suchen weder Gold noch Land,
sondern leben ihre bestialische Macht aus, die sie dank ihrer Waffen aus
westlichen Ländern auskosten. Natürlich ergibt dies aus Sicht ehemaliger
Kolonialstaaten und ihrer Marionettenpräsidenten einen Sinn, weil diese sich
nur für die Ausbeutung von Bodenschätzen unter dem Sahara-Sand interessieren
und denen die Nomaden und eigentlichen „Besitzer“ der Wüste sowie der Stadt-
und Flussbevölkerung Malis und Nigers völlig egal sind. Einfacher ist es
Banditen und Söldner in die Wüste zu senden und die Bevölkerung zu terrorisieren
und zu töten als mit ihnen in Verhandlungen zu treten und den Profit der
Ausbeutung zu teilen!
Einwohner Timbuktus, mit denen der Autor gesprochen hat,
vergleichen die beiden Tragödien miteinander - so nah ist die Geschichte in den
Köpfen der Menschen vor Ort.
Timbuktu wurde von Tuareg vor rund Eintausend Jahren
gegründet, so erfährt Nicholas Jubber von einem bekannten malischen Historiker.
Eine Frau namens Buktu versorgte Gepäck und Waren, die von den Tuareg während
ihrer Wanderungen zurückgelassen wurden. Aus „Tin Buktu“ - der Platz der Buktu
wurde im Laufe der Geschichte Timbuktu, die Mysteriöse.
Während seiner Reise lernt der Autor verschiedene
Nomadengruppen kennen. Ausgangspunkt der Reise ist Fez, die älteste arabische
Stadt in Marokko. Hier arbeitete er mit den bekannten Gerbern im Souk. Im
Verlauf der Reise lernt der Autor den Unterschied zwischen den arabischen Stadtbewohnern
und den Berbern kennen, die immer weiter in die Atlas-Berge abgedrängt wurden. „Wenn
du einen Araber triffst, hast du immer eine Schlange vor dir.“ erzählt ein
Bergbewohner. „Die Araber haben eine Menge versprochen, aber nichts gehalten,“
führt er weiter aus. Wenn die Menschen aus den Dörfern in der Stadt nach Arbeit
suchen, erhalten sie von den Arabern keine Arbeit, „weil sie angeblich kein gutes
Arabisch sprechen. Unser Land hat ein Menge wirtschaftliche Probleme, aber die
Amazighren (Berber) leiden am meisten darunter“.
In Laâyouni lernt Nicholas Jubber die Sahraouis kennen,
deren Kampf um die Unabhängigkeit von der Besatzungsmacht Marokko schon über 40
Jahre dauert und der 1975 mit dem „Grünen Marsch“ des marokkanischen
Königs Hassan II. begann.
Die Bozo-Fischer folgen den Fischwanderungen im
Nigerfluss. Die Fulbe-Hirten wandern seit Jahrtausenden durch die Sahelländer
und haben es zunehmend schwerer ausreichend Futter für ihre Kühe zu finden.
Wenn die Kühe immer magerer werden, müssen die Familien mit immer weniger Milch
auskommen. Außerdem gibt es Streitereien mit anderen Fulbe oder den Dogon, den bekannten Zwiebelbauern in Mali, um die Weideplätze. Allerdings profitieren die
Dogon auch, wenn beispielsweise die Tiere der Fulbe die Felder der Dogon mit
ihrem Kot düngen.
Mit den bekanntesten Nomaden, den Tuareg, möchte der Autor
die berühmte Azalai, die Karawane reiten, bei der die Tuareg im Norden Malis
Salzplatten von Taoudenni nach Timbuktu bringen. Dafür lernt er die 8 Lektionen
der Wüste: Beharrlichkeit, Überwindung, Weitsicht, Kreativität, Bildung,
Tradition, Klarheit und Geduld - und das Tee-Kochen, mit eher weniger Erfolg
(aus Sicht der Tuareg).
Doch bevor er sein Vorhaben verwirklichen kann, machen
ihm die Ereignisse 2012 einen Strich durch die Rechnung und die Erzählungen der
Einwohner von Timbuktu einige Jahre später bedrücken nicht nur den Autor
sondern auch den Leser.
Nicholas Jubber beschreibt neben den acht Lektionen der
Wüste auch in acht Teilen die Regionen seiner Reise: das Nirgendwo, die Stadt,
das Gebirge, die Wüste, die Hochebene, die Ebene, den Fluss und nochmal das
Nirgendwo der Sahara.
Sein Resumée: „Wenn irgendjemand den Weltuntergang
überlebt, dann sind es nicht die Actionhelden der Hollywoodfilme, sondern
Nomaden wie die, die ich in Nordafrika kennengelernt habe.“
Autor:
Nicholas Jubber, geb. 1977, ist ein britischer Autor und
Journalist. Nach seinem Studium an der Oxford University lebte er mehrere Jahre
in Jerusalem. Als 2000 die zweite Intifada ausbrach, reiste er durch den
Mittleren Osten und Ostafrika und berichtete von dort für den Guardian, den
Observer, die BBC u.a. Mit Unterbrechungen, insgesamt jedoch sechs Jahre lang,
ist Nicholas Jubber mit den Nomaden Nordafrikas gereist - länger als jeder
andere Europäer im letzten Jahrzehnt. „Die acht Lektionen der Wüste“ (The
Timbuktu School of Nomads: Across the Sahara in the Shadow of Jihad , 2016) ist
sein drittes Buch und das erste, das ins Deutsche übersetzt wurde.
Fazit:
Ein beeindruckendes und interessantes Buch, das am Ende
immer spannender, aber auch bedrückender wird.
Der couragierte Autor gibt das Erlebte lebendig
geschrieben wieder und beschreibt mit großem Einfühlungsvermögen das heutige
Leben der Nomaden-Bewohner der bereisten Länder Marokko, Westsahara, Mauretanien
und Mali.
Das Buch ist nie langweilig, Historisches und Aktuelles
ergänzen sich, selbst Shakespeare wird zitiert. Der angenehme Stil des
Ich-Erzählers ist gut und flüssig zu lesen.
Auch wer jetzt nicht nach Timbuktu reisen möchte, sich
aber trotzdem für das Leben der Nomaden in diesem Teil der Welt interessiert,
dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.