Sonntag, 25. Februar 2018

Rezension: Meine algerische Familie

KiWi
REZENSION

ALICE  SCHWARZER


MEINE  ALGERISCHE  FAMILIE       

Alice Schwarzer stellt „ihre“ algerische Familie vor, die in Tipaza, im Großraum Algier, in Setif im Osten lebt, aber auch in Kanada oder Paris. Es ist eine gut situierte Großfamilie, bei der Cousinen und Cousins, Nichten und Neffen eingeschlossen sind.

Bei der Hochzeit eines Familienmitglieds wird die Braut traditionell ihr Kleid siebenmal wechseln, auch die anderen Frauen haben mehrere Kleider zum Wechseln dabei. Aber was macht Alice Schwarzer, die nur zwei Kleider mitgenommen hat?
Ist eine Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald wirklich das passende Geschenk für eine algerische Famlie? Warum schauen Algerier wohl das französischsprachige Fernsehen an, obwohl die Kolonialvergangenheit noch in den Köpfen präsent ist? Warum werden Alice Schwarzer, die Fotografin Bettina Flitner und Djamila, die besuchte Freundin der Autorin während einer Wahlkampfveranstaltung zur Polizeiwache gebracht? Und was ist algerische Identität? Auf diese und weitere Fragen gibt die Autorin und ihre Gesprächspartner Antworten.

Das Buch zeigt einen offenen Blick in das Leben einer algerischen Familie, den man gewöhnlich nur erhält, wenn man die Familie schon sehr lange kennt, wie bei der Autorin seit 1989. Dabei hilft auch, dass es in der Familie ebenfalls Journalisten gibt.
In 17 Kapiteln kommen vor allem Frauen zu Wort, die sich ungeniert äußern, über Familie, Beruf, Politik, Tradition, Moderne und nicht zuletzt das Kopftuch.

Djamila erzählt, wie sie und andere Frauen bei der Beerdigung von Assia Djebar, der bekannten Schriftstellerin den Sarg getragen haben, eigentlich ist dies Männern vorbehalten.
Es kommt zu einem Wiedersehen mit Khalida Toumi, der ehemaligen Ministerin für Kultur und Kommunikation, die in den 1990er Jahren in Deutschland von Alice Schwarzer im Fernsehen interviewt wurde und schon damals beklagte, dass der Westen die Augen vor dem Erstarken der Islamisten verschloss und Algerien nicht im Kampf gegen die religiösen Extremisten geholfen habe.    
Da Alice Schwarzer und Bettina Flitner erst 2017 nach Algerien gereist sind, ist das Buch sehr aktuell und in vieler Hinsicht aufschlussreich, besonders bei den Fragen zum Islam, den Islamisten, zur aktuellen Politik in Europa und dem Nahen Osten. Alle sind sich einig, dass Algerien den arabischen Frühling nicht erlebt hat, weil das „schwarze Jahrzehnt“ mit 200.000 Toten die Ereignisse von 2011 bereits in den 1990er Jahren vorweggenommen haben und die Algerier, nicht nur die Familie von Alice Schwarzer, die Folgen bereits erlebten, unter denen heute die Menschen in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien zu leiden haben.
Allerdings liest man auch die Meinungen von der anderen Seite des Mittelmeers zur Deutschen Politik, den Ereignissen in Köln und Mme Merkel.

Autorin:
Alice Schwarzer ist eine politische Journalistin und Herausgeberin der Zeitschrift EMMA. Sie lebte und arbeitete in Paris, wo sie u.a. nordafrikanische Kollegen kennen lernte. Seit einem Besuch im Iran 1979 beschäftigt sie sich mit dem politisierten Islam.

Fazit:
Ein gelungenes, persönliches Buch. In einer lockeren und lebhaften Art beschreibt die Autorin ihre Erlebnisse. Persönliche Begegnungen von heute und frühere Ereignisse in der algerischen Geschichte werden gut aufbereitet beschrieben.
Auffällig, nicht nur in dieser Familie ist der Zusammenhalt, jeder hilft jedem und man steht sich bei, das ist auch bei meiner Familie so, denn ich habe in eine Familie der algerischen Sahara eingeheiratet. Und vor allem wird die Gastfreundschaft immer wieder betont.

Die vielen Bilder bereichern und unterstreichen die Erzählungen.

Das Buch ist sehr empfehlenswert, vielen Dank an Alice Schwarzer und vor allem herzlichen Dank der algerischen Familie für die Erlaubnis „hinter die Kulissen blicken zu dürfen“ und der offenen Worte. Unbedingt lesen.