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ALLAHS TÖCHTER
„Im Paradies ging es allen Menschen gut, denn sie waren
bei Gott.“
In diesem Buch geht es um drei „Kindheiten“: Die Kindheit
des Autors, die Anfänge des Islam und die Entstehung der heutigen Türkei bzw.
das Ende des Osmanischen Reiches.
Als Nedim, der Autor, vier oder fünf Jahre alt war,
erzählte ihm seine tiefgläubige Großmutter die Geschichte von Abraham, der ins
Feuer geworfen werden sollte, doch Allah rettete ihn in letzter Sekunde und ließ
den Engel Gabriel nicht nur das Feuer löschen, sondern auch so viel Wasser
emporschießen, dass ein Garten erblühte. Dieser Ort ist Manisa, die Stadt, „in
der die Prinzen“ des Osmanischen Reiches ausgebildet wurden, die Heimat des
Autors und seiner Familie.
Haci Rahmani Ram aus dem türkischen Ort Hacirahmanli
nordöstlich von Manisa, in der Nähe von Izmir, war der Großvater des Autors. Er
erzählt seinem Enkel die Geschichte vom Leben vor der Geburt des Propheten Mohammed,
als in Mekka hunderte von Göttinnen und Göttern verehrt wurden. Auf der
arabischen Halbinsel lebten viele Beduinenstämme, die einmal im Jahr zur großen
Messe nach Mekka kamen, um die Waren ihrer Handelskarawanen zu tauschen. Sie
kamen aus Süden und Norden. Während dieser Handelsmesse besuchten sie den
schwarzen Stein Abrahams in der Kaaba, die Quelle Zemzem und opferten ihren
Göttinnen und Göttern.
Jeder Stamm verehrte seine Gottheit, wir würden
vielleicht Schutzpatron sagen, darunter die drei Göttinnen Lat, die
Schutzpatronin der fruchtbaren Oase Taif, der „Jade, Rubin, Silber und Gold“
geopfert wurde, die aber eines Tages nach Mekka zur Kaaba, in „das Haus Allahs“,
gebrachte und mit Hubal, dem Stadtgott der Araber vermählt wurde, Uzza, eine
Holzstatue aus Mekka, die zum Muharram verehrt wird, dem Monat, in dem kein
Krieg geführt werden durfte und die Beduinen auf ihren Kamelen zum Jahrmarkt
nach Mekka kamen und Manat, „ein Felsstück aus Kudeyd inmitten der Berge“, das
zu einem Frauenkörper geschliffen und poliert und bis zur Ekstase verehrt
wurde.
Dann kam Mohammed zur Welt und der Großvater Haci Rahmi
erzählt die Lebensgeschichte des Propheten und die Geburt und Kindheit des
Islam, der die Göttinnen mehr und mehr verdrängte.
Großvater Haci Rahmi Bey studierte in Istanbul und erlebte
als Anwalt die Entstehung des neuen Staates Türkei, der 1922 aus dem
Osmanischen Reich hervorging. Als junger Mann musste er im 1.Weltkrieg nach
Ägypten marschieren und dann die heilige Stadt Medina schützen, wo er seinen
linken Arm verlor. Vor wem eigentlich? fragte er sich, da nun Muslime gegen
Muslime kämpften. Aber hinter den arabischen Stämmen steckten die Engländer,
unter ihnen „Lawrence von Arabien“, der mit seinen Gruppen die Hedjazbahn
(Bagdad-Bahn) attackierte, die den Nachschub an Lebensmitteln und Waffen nach
Medina und Mekka lieferte. Als er nach Manisa zurückkehrte, wurde er Gaci,
Veteran, aber die Großmutter sah in ihm einen Hadji, einen Mekka-Pilger, obwohl
er nur bis Medina kam.
Nedims Freund Ismail, Sohn des Bäckers Ibrahim Efendi,
kam mit seinen Eltern als Flüchtlingskind nach dem zweiten Weltkrieg aus dem
Balkan. Nachdem sich dort der Kommunismus ausbreitete, flüchtete die türkischstämmige
Bevölkerung in die Türkei.
Auch die Familie der gläubigen Großmutter stammte aus dem
Balkan, aus Skopje, und in ihrer Familie gab es Derwische und Märtyrer.
Als Nedim klein war und die Großeltern aus dem Koran
vorlasen, verstand er noch nicht alles, denn die Großeltern lasen auf Arabisch,
während er nur türkisch lernte, aber der Klang der Sprache verzauberte ihn. Und
der Großvater wollte seinen Enkel keine Angst machen und erzählte die schönen
Seiten des Islam.
Nach dem Tod des Vaters durch einen Unfall zog die Mutter
nach Frankreich. Sie war Lehrerin und später studierte auch Nedim in Paris. Sehr
viel später studierte Nedim den Nachlass seines Großvaters, der besser arabisch
als türkisch sprach, den er nur mit Hilfe eines Übersetzers entziffern konnte. Im
Osmanischen Reich wurde türkisch mit arabischen Worten vermischt gesprochen,
aber Atatürk setzte die lateinische gegen die arabische Schrift durch und die türkische
Sprache wurde von der arabischen „gereinigt“.
Fazit:
Nedim Gürsel beschreibt die Geschichte des Islam mit sehr
schönen Worten. Bilder und Legenden werden ausgeschmückt, wie bei uns die Religion
in Kinderbüchern nur vom „lieben Gott“ spricht, im Gegensatz zur tatsächlichen
Geschichte. Der Großvater, Haci Rahmi Bey, richtet sie an seinen Enkel, den
Autor, der wiederum in seiner Erzählweise der Du-Form einen imaginären Zuhörer bzw.
den Leser anspricht. Das Beispiel des tiefgläubigen Abraham zieht sich durch
das ganze Buch bis zum Schicksal des Bäckers Ibrahim Efendi und dem großen
Hammelopferfest und machte dem kleinen Nedim in gewisser Weise Angst. Immer
wieder werden Beispiele beschrieben, die auf diesen Ritus zurückzuführen sind. Oft
wird der Koran zitiert.
Das Buch ist insgesamt sehr interessant geschrieben und
gut zu lesen. Vor allem die Informationen zur Entstehung der heutigen Türkei
sind durch die Erlebnisse des Großvaters gut beschrieben. Die Koranzitate und
viele Zusammenhänge der türkischen Geschichte werden nochmals am Ende des
Buches erklärt.
Warum der Autor in der Türkei wegen dieses Romans der
Blasphemie beschuldigt und angeklagt wurde, ist nicht nachvollziehbar.
Autor:
Nedim Gürsel (62) lebt in Paris. Er wurde in Gaziantep,
in der Türkei geboren, besuchte das Elitegymnasium Galatasaray in Istanbul und
studierte in Paris moderne französische Literatur. Heute lehrt er an der
Sorbonne türkische Literatur. Schon 1969 schrieb Gürsel in
Literaturzeitschriften. Seine Romane wurden in 12 Sprachen veröffentlicht. Er
zählt zu den wichtigsten türkischen Schriftstellern. Auf Deutsch erschienen
seine Romane: Der Eroberer 2000, Turbane in Venedig 2002, Sieben Derwische
2008.
Aus dem Türkischen übersetzt von Barbara Yurtdas.
Nedim Gürsel
Allahs Töchter
Hardcover mit Umschlag, grüner
Leineneinband
346 Seiten
1.Auflage 2012
Preis: Euro 24,95 Buch kaufen
Suhrkamp Verlag, Berlin