Freitag, 19. Dezember 2014

Rezension: Islamismus im Maghreb

Islamismus im Maghreb als Herausforderung für die EU-Sicherheitspolitik      
Tectum Verlag
Das Beispiel Algerien

Von Abderrahman Aresmouk

Das vorliegende Buch ist die Dissertation von Abderrahman Aresmouk an der Phillipps-Universität in Marburg 2013.

Der Autor Abderrahman Aresmouk versucht zu erklären, was hinter den Begriffen „Islamischer Fundamentalismus“, „Islamismus“ und „Politischer Islam“ steckt, was Islamismus im Maghreb bedeutet, wie dieser damit umgeht und wie es gelingen könnte durch umfangreiche Kenntnisse der „politischen, kulturellen und wissenschaftlichen“ Eigenheiten der Maghrebländer Algerien, Tunesien und Marokko eine langfristige Partnerschaft der EU bzw. Deutschland mit der Mittelmeerunion explizit mit den Maghrebländern unter Einbeziehung islamischer Werte aufzubauen.

Im ersten Kapitel beschäftigt sich der Autor mit dem Begriff „Fundamentalismus“, der zuvor den rückwärts gerichteten Protestanten des 20. Jh. in den USA zugeschrieben wurde. Der religiöse Fundamentalismus bezieht sich auf Widerstand und Kritik an der modernen Welt von heute, ist in der christlichen Welt ebenso vorhanden und wurde auf den Islam übertragen.
Bereits im Mittelalter begannen islamische Philosophen wie u.a. Ibn Rushd (Averroes) Koran und Sunna zu hinterfragen und zeitgemäß, d.h. im 12. Jh. zu interpretieren, was man Ischtihad nennt.

Das folgende Kapitel zeigt „Die polithistorischen Voraussetzungen des Maghreb“ und am Beispiel Algeriens, wie während der 132jährigen französischen Kolonialherrschaft nationales Bewusstsein der Traditionen und Religion unterdrückt wurden und sich aus der Befreiung in der nachkolonialen Zeit der islamische Fundamentalismus entwickeln konnte. Auch nach der Unabhängigkeit wird die „sozioökonomische Dominanz“ der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich als „Fortsetzung des Kolonialismus“ empfunden und diesen Eindruck nutzen die Islamisten für ihre Zwecke.

Die nachkolonialen Regierungen im Maghreb setzten zwar die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen fort, doch auf politischer Ebene wurde die Modernisierung im Westen nach dem zweiten Weltkrieg und die Demokratisierung als mit dem Islam unvereinbar zurückgewiesen. Hätte dieser Weg doch dem Festhalten an der Macht der autokratischen Herrschaftseliten entgegengestanden.
Tatsächlich fordert der „Islam die Gleichwertigkeit aller Muslime“ genauso wie das Christentum die Gleichheit der Gläubigen. Und die Revolutionen im säkularen Tunesien, in Ägypten wie im traditionalistisch islamischen Königreich Bahrain wurden von der Bevölkerung wegen der sozialen Ungerechtigkeiten ausgelöst, die sich gegen die Diktaturen ihrer Regierungen richteten und nicht aus religiösen Gründen!

Im dritten Kapitel wird die „sozioökonomische Entwicklung“ seit der Unabhängigkeit betrachtet.
In Algerien, wo erschwerend hinzukommt, dass es ein Teil von Frankreich war, setzte eine Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat ein und die Haupteinnahmequellen Erdöl- und Gasproduktion wurden verstaatlicht. Man konzentrierte sich auf die Schwerindustrie und vernachlässigte die Entwicklung des Mittelstandes, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bildung und das Schulwesen.

Das vierte Kapitel zeigt die „Politisch-ideologischen Tendenzen im postkolonialen Algerien“ auf.
Der von der FLN geprägte Befreiungskrieg, der 1962 zur Unabhängigkeit führte, legitimierte in den Augen der Mitglieder jahrelang ihren Anspruch auf die politische Macht und ließ keine Demokratisierung zu. Dabei diente der „religiös gefärbte Nationalismus“ als Grundlage des Selbstverständnisses für die Einheitspartei FLN. Darüber hinaus diente die sozialistisch-kommunistische Ausrichtung nicht der Bevölkerung sondern nur der Bereicherung der Machtelite. Die Berufung auf den Islam als „einigendes Band der Nation“ war die einzige unumstrittene Gemeinsamkeit der vielfältigen algerischen Bevölkerung und die Einheitspartei beschwor damit eine „algerische Identität“ bzw. einen „algerischen Nationalismus“, der nie eintraf. Aus Enttäuschung wandten sich Teile der Bevölkerung den islamischen Bewegungen zu, die mehr und mehr soziale Aufgaben übernahmen und Hilfe anboten. Daraufhin erhielten sie mehr Einfluss, vor allem auf die Jugendlichen und konnten sich als Konkurrenz zur Einheitspartei aufschwingen, was sich in den gewonnen Wahlen 1989 zeigte.

Das fünfte Kapitel befasst sich mit dem „Verhältnis der algerischen Staatsmacht gegenüber dem politischen Islam“. Hierin wird aufgezeigt, wie die Regierung der erstarkten FIS entgegentrat und wie in der Ära Bouteflika die „Repressionen mit subtileren Mitteln“ fortgesetzt werden.
Es werden Wege aufgezeigt, wie der Westen dazu beitragen könnte, eine algerische Demokratie zu etablieren und dass es mit gemäßigten Islamistischen Parteien durchaus möglich ist, demokratische Regierungsverantwortung zu erzielen, die beweisen, dass sich „Islamismus und Demokratie“ nicht gegenseitig ausschließen.

Im sechsten Kapitel wird der „Arabische Frühling 2011“ untersucht und festgestellt, dass in Algerien zwar die Bevölkerung unzufrieden ist, aber die Angst vor den Zuständen der 1990er Jahre überwiegt und es deshalb zu keinen flächendeckenden Ausschreitungen und keiner Änderung in der algerischen Politik kam.

Das siebte Kapitel „Islamismus in Algerien aus der Perspektive der EU-Sicherheitspolitik“ beschreibt in den Unterkapiteln die EU-Außenpolitik in den 1990er Jahren im Konflikt mit einer Unterstützung der Militärdiktatur und demokratischen Anspruch. Für die EU hat eine Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus Vorrang vor gutem demokratischem Regierungsstil. Die Abwehr von Flüchtlingen aus Nordafrika ist der EU wichtiger als die Hilfe beim Aufbau demokratischer Regierungsformen im Maghreb.

In seinem Fazit kommt Abderrahman Aresmouk unter anderem zum Resultat, dass es mit Hilfe der europäischen Nachbarn und einem ehrlichen Dialog mit allen Partnern, auch den gemäßigten islamistischen Parteien durchaus gelingen kann, christliche und islamische Werte zusammenzubringen. So wie es in Europa christliche Parteien gibt, muss man im Maghreb islamische Parteien akzeptieren.

Fazit
Der Vertrauensverlust der Bevölkerung in die algerische Regierung führte zur Hinwendung vor allem der frustrierten Jugend zu religiösen Gruppen, die ab 1970 bis 1980 in den Vorstädten neue Moscheen kreierten. Aus Mangel an eigenen Lehrkräften für den Arabisch- und Religionsunterricht nach der Unabhängigkeit, wurden Lehrer aus Ägypten und Saudi-Arabien angeworben, die neben der Sprache, die völlig anders war als das algerische Arabisch, auch ihre fundamentalistischen Ideologien mitbrachten, die im Maghreb zuvor unbekannt waren.
Der Autor zeigt anschaulich wie sich islamistische Parteien, Bewegungen oder Bruderschaften die Unfähigkeit der Regierungen zunutze machen und die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerungen (Gesundheitswesen, Arbeitsplätze, Gemeinwesen) auffangen, um sie gleichzeitig für ihre Ideologien zu nutzen.
So zeichnet er minutiös am algerischen Beispiel den Weg der FIS nach, bis sie nach den Wahlen 1989 zur stärksten Partei und daraufhin verboten wurde. Erst da begannen die Spaltung und der bewaffnete Kampf, der zum Bürgerkrieg führte. Diesen Konflikt nutzte die Militärregierung für sich, um weiterhin an der Macht zu bleiben.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass korrupte Staaten, denen zuvor Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, in dem Moment zu „Freunden“ werden, wenn es den westlichen Staaten nützt, da sie ihre Waffen dorthin verkaufen können oder Erdöl bzw. Erdgas beziehen wollen.

Jede Entwicklung der Gesellschaft in den islamischen Ländern wird vom Westen als Bedrohung empfunden, aber es ist nur die geschürte Angstmache und die einseitige Wahrnehmung, die gesteuert wird. Historiker beschreiben bevorzugt die kriegerischen Auseinandersetzungen, z.B. zwischen Byzanz und dem aufsteigenden Islam oder im maurischen Spanien und stellen Islam und Christentum als Feindbilder gegenüber, wobei ein Jahrhunderte langes friedliches Zusammenleben der zivilen Bevölkerungen, gerade im Maghreb, und den gegenseitigen Befruchtungen durch Wissensaustausch und Handel kaum Erwähnung finden.

Birgit Agada


Abderrahman Aresmouk
Islamismus im Maghreb als Herausforderung für die EU-Sicherheitspolitik
Das Beispiel Algerien
Hardcover, 341 Seiten                  
1.Auflage 2014
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