Auf Wiedersehen, Kerim |
AUF WIEDERSEHEN, KERIM ADIEU, KERIM
Die algerische Tageszeitung „El Watan“, die auf
Französisch und Arabisch erscheint, rief 2011 algerische Partisanen auf, ihre
Geschichte zur 50-jährigen Unabhängigkeit Algeriens zu erzählen. Dieses Wissen
ist wichtig für die Algerier, da die Franzosen 1962 alle Dokumente nach Frankreich
mitgenommen hatten und die Archive verschlossen.
Der, heute auf Sylt lebende, 81-jährige Abdelkerim Touati nahm diese Idee zum Anlass, seine Geschichte aufzuschreiben und als Buch in Deutschland zu veröffentlichen. Hier weiß man heute relativ wenig über Algerien und vor allem über diese Zeit zwischen 1954 und 1962, obwohl die frühe deutsche Regierung in der einen oder anderen Form unmittelbar beteiligt war an „den Ereignissen“....
Als der Unabhängigkeitskrieg 1954 begann, war Abdelkerim
Touati als Student in Paris. Er schloss sich der Studentenvereinigung UGEMA an,
die der algerischen Befreiungsfront (FLN) nahe stand. Die UGEMA wurde bald in
Frankreich verboten und so kam er nach Westdeutschland, das sich gerade erst
vom zweiten Weltkrieg erholte und die algerischen Studenten unterstützte.
Interessant ist hierbei die Rolle Deutschlands. 1940 noch in Frankreich
einmarschiert und Kriegsfeind, standen 1958 plötzlich bis zu 40.000 deutsche
Soldaten an der Seite Frankreichs in Algerien, das das algerische Volk
massakrierte. Frankeich erpresste Westdeutschland mit der Anerkennung der DDR,
wenn die algerischen Studenten und die FLN (Alg. Befreiungsfront) weiterhin
unterstützt würden. Daraufhin verbot auch Westdeutschland 1959 die UGEMA und
noch am gleichen Tag meldete Radio Leipzig, dass algerische Studenten in der
DDR willkommen seien und unterstützt würden.
So kam auch Abdelkerim Touati nach Leipzig, wo sich die Radiojournalistin
Heidy Glöckner in ihn verliebte. Später war sie Mitglied in der kommunistischen
Partei der DDR und veröffentlichte ein Buch über die Liebesbeziehung und einen
Artikel, der in diesem Buch abgedruckt zu lesen ist, nachdem Kerim weggegangen
war.
Inzwischen werden die Greueltaten Frankreichs an der
algerischen Bevölkerung immer schlimmer, denn die Franzosen, besonders die, in
Algerien geborenen (Piednoirs) wollen Algerien nicht aufgeben. Doch 1959 wurde
die erste Exilregierung von dem Apotheker Ferhat Abbas in Kairo gegründet, der
nach der Unabhängigkeit der erste Präsident des Unabhängigen Algeriens wurde.
Ein sehr aufklärendes Interview vom August 1959 im Wochenmagazin „Der Spiegel“ „Hört
auf, den Massenmord zu unterstützen“ macht die Situation deutlich, wie
Deutschland in den Krieg verstrickt ist.
Abdelkerim Touati und viele weitere Algerier, die im Exil
ihre Landsleute unterstützten, kehrten nach der Unabhängigkeit 1962 nach
Algerien zurück und arbeiteten, je nach Ausbildung in hohen Posten des jungen
Staates. 1964 kam er wieder nach Deutschland, dieses Mal als Mitglied der ersten
algerischen Regierungsdelegation. Nach vielen (Lebens-)Stationen lebt er nun in
Westerland auf Sylt.
2008 stieß Abdelkerim Touati auf einen Artikel in der
französischen Zeitschrift „Jeune Afrique“ von Fawzia Zouari über „Mischehen“,
genau 50 Jahre nach dem Erscheinen des Buches „Jahr VI“ von Frantz Fanon, der
während des algerischen Befreiungskrieges die Vergewaltigungen und
Misshandlungen der algerischen bzw. moslemischen Frauen anprangerte und, dass
die französischen Besatzer die Frauen „befreien wollten“, in dem sie ihnen das
Tragen eines Schleiers verboten. Ergänzt wird das Thema „Befreiung der
moslemischen Frau“ von zwei Artikeln, die die deutsch-türkische Journalistin
Mely Kiyak 2009 in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte. Touati sieht
Parallelen zu der heutigen Situation in Frankreich mit dem „algerischen Problem“
und in Deutschland mit dem „türkischen Problem“ der Kopftuch tragenden Frauen,
die „befreit und emanzipiert“ werden müssten. Das Thema „Mischehen“ spielt auch
im Leben von Abdelkerim Touati eine Rolle, da er mit deutschen Frauen liiert
war und ist.
Autor:
Abdelkerim Touati wurde 1932 in Bejaia an der Mittelmeerküste Ostalgeriens geboren. 1954 begann er in Paris ein Studium für politische Wissenschaften. Weitere Stationen auf seinem Lebensweg führten ihn nach Westdeutschland, dann nach Leipzig. Nach der Unabhängigkeit kehrte er nach Algerien zurück und wurde Spitzenbeamter im Energieministerium. Ab Ende der 1960er Jahre lebte er mit seiner deutschen Frau und Tochter in Frankfurt, später in Hamburg. 1987 wurde Abdelkerim Touati frühpensioniert und heute lebt er mit seiner Sylter Freundin in Westerland.
Fazit:
Das Buch, das auf Deutsch und
Französisch geschrieben wurde, setzt sich aus der Beschreibung des bewegten
Lebens Abdelkerim Touatis und den Dokumenten zusammen, die Touati gesammelt und
nun veröffentlicht hat. Sie ergänzen die Beschreibung und sprechen für sich.
Ein wichtiges Buch für alle, die sich für Algerien und
die Beziehungen zwischen Algerien und Deutschland interessieren. Gerade jetzt,
wo deutsche Firmen sich wieder mehr in Nordalgerien niederlassen, sollten die Hintergründe
der Ereignisse während des Unabhängigkeitskriegs nicht in Vergessenheit
geraten.
Von ein paar Rechtschreibfehlern abgesehen, ist dies ein
beeindruckendes Zeitdokument über die Geschehnisse und Beziehungen zwischen
Algerien und den beiden deutschen Staaten, die von Frankreich beeinflusst
wurden. Diese Beeinflussung hält bis heute an, wo es möglich ist, dass Bürgern der
ehemaligen Kolonien Nord- und Westafrikas die Erteilung eines Visums für
Deutschland verweigert wird, nur weil Frankreich dagegen ist !!
Abdelkerim Touati
Auf Wiedersehen, Kerim
Adieu, Kerim
Zweisprachige Deutsch/Französisch geschriebene Dokumentation
176 Seiten, Hardcover mit Umschlag und Leseband
1.Auflage 2013
Preis: Euro 14,95 Buch kaufen