Montag, 24. Juni 2013

Rezension: Auf Wiedersehen, Kerim

Auf Wiedersehen, Kerim
ABDELKERIM  TOUATI 

AUF  WIEDERSEHEN, KERIM       ADIEU, KERIM



Die algerische Tageszeitung „El Watan“, die auf Französisch und Arabisch erscheint, rief 2011 algerische Partisanen auf, ihre Geschichte zur 50-jährigen Unabhängigkeit Algeriens zu erzählen. Dieses Wissen ist wichtig für die Algerier, da die Franzosen 1962 alle Dokumente nach Frankreich mitgenommen hatten und die Archive verschlossen.


Der, heute auf Sylt lebende, 81-jährige Abdelkerim Touati nahm diese Idee zum Anlass, seine Geschichte aufzuschreiben und als Buch in Deutschland zu veröffentlichen. Hier weiß man heute relativ wenig über Algerien und vor allem über diese Zeit zwischen 1954 und 1962, obwohl die frühe deutsche Regierung in der einen oder anderen Form unmittelbar beteiligt war an „den Ereignissen“....
Als der Unabhängigkeitskrieg 1954 begann, war Abdelkerim Touati als Student in Paris. Er schloss sich der Studentenvereinigung UGEMA an, die der algerischen Befreiungsfront (FLN) nahe stand. Die UGEMA wurde bald in Frankreich verboten und so kam er nach Westdeutschland, das sich gerade erst vom zweiten Weltkrieg erholte und die algerischen Studenten unterstützte. Interessant ist hierbei die Rolle Deutschlands. 1940 noch in Frankreich einmarschiert und Kriegsfeind, standen 1958 plötzlich bis zu 40.000 deutsche Soldaten an der Seite Frankreichs in Algerien, das das algerische Volk massakrierte. Frankeich erpresste Westdeutschland mit der Anerkennung der DDR, wenn die algerischen Studenten und die FLN (Alg. Befreiungsfront) weiterhin unterstützt würden. Daraufhin verbot auch Westdeutschland 1959 die UGEMA und noch am gleichen Tag meldete Radio Leipzig, dass algerische Studenten in der DDR willkommen seien und unterstützt würden.

So kam auch Abdelkerim Touati nach Leipzig, wo sich die Radiojournalistin Heidy Glöckner in ihn verliebte. Später war sie Mitglied in der kommunistischen Partei der DDR und veröffentlichte ein Buch über die Liebesbeziehung und einen Artikel, der in diesem Buch abgedruckt zu lesen ist, nachdem Kerim weggegangen war.

Inzwischen werden die Greueltaten Frankreichs an der algerischen Bevölkerung immer schlimmer, denn die Franzosen, besonders die, in Algerien geborenen (Piednoirs) wollen Algerien nicht aufgeben. Doch 1959 wurde die erste Exilregierung von dem Apotheker Ferhat Abbas in Kairo gegründet, der nach der Unabhängigkeit der erste Präsident des Unabhängigen Algeriens wurde. Ein sehr aufklärendes Interview vom August 1959 im Wochenmagazin „Der Spiegel“ „Hört auf, den Massenmord zu unterstützen“ macht die Situation deutlich, wie Deutschland in den Krieg verstrickt ist.

Abdelkerim Touati und viele weitere Algerier, die im Exil ihre Landsleute unterstützten, kehrten nach der Unabhängigkeit 1962 nach Algerien zurück und arbeiteten, je nach Ausbildung in hohen Posten des jungen Staates. 1964 kam er wieder nach Deutschland, dieses Mal als Mitglied der ersten algerischen Regierungsdelegation. Nach vielen (Lebens-)Stationen lebt er nun in Westerland auf Sylt.

2008 stieß Abdelkerim Touati auf einen Artikel in der französischen Zeitschrift „Jeune Afrique“ von Fawzia Zouari über „Mischehen“, genau 50 Jahre nach dem Erscheinen des Buches „Jahr VI“ von Frantz Fanon, der während des algerischen Befreiungskrieges die Vergewaltigungen und Misshandlungen der algerischen bzw. moslemischen Frauen anprangerte und, dass die französischen Besatzer die Frauen „befreien wollten“, in dem sie ihnen das Tragen eines Schleiers verboten. Ergänzt wird das Thema „Befreiung der moslemischen Frau“ von zwei Artikeln, die die deutsch-türkische Journalistin Mely Kiyak 2009 in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte. Touati sieht Parallelen zu der heutigen Situation in Frankreich mit dem „algerischen Problem“ und in Deutschland mit dem „türkischen Problem“ der Kopftuch tragenden Frauen, die „befreit und emanzipiert“ werden müssten. Das Thema „Mischehen“ spielt auch im Leben von Abdelkerim Touati eine Rolle, da er mit deutschen Frauen liiert war und ist.

Autor:
Abdelkerim Touati wurde 1932 in Bejaia an der Mittelmeerküste Ostalgeriens geboren. 1954 begann er in Paris ein Studium für politische Wissenschaften. Weitere Stationen auf seinem Lebensweg führten ihn nach Westdeutschland, dann nach Leipzig. Nach der Unabhängigkeit kehrte er nach Algerien zurück und wurde Spitzenbeamter im Energieministerium. Ab Ende der 1960er Jahre lebte er mit seiner deutschen Frau und Tochter in Frankfurt, später in Hamburg. 1987 wurde Abdelkerim Touati frühpensioniert und heute lebt er mit seiner Sylter Freundin in Westerland.

Fazit:          
Das Buch, das auf Deutsch und Französisch geschrieben wurde, setzt sich aus der Beschreibung des bewegten Lebens Abdelkerim Touatis und den Dokumenten zusammen, die Touati gesammelt und nun veröffentlicht hat. Sie ergänzen die Beschreibung und sprechen für sich.
Ein wichtiges Buch für alle, die sich für Algerien und die Beziehungen zwischen Algerien und Deutschland interessieren. Gerade jetzt, wo deutsche Firmen sich wieder mehr in Nordalgerien niederlassen, sollten die Hintergründe der Ereignisse während des Unabhängigkeitskriegs nicht in Vergessenheit geraten.
Von ein paar Rechtschreibfehlern abgesehen, ist dies ein beeindruckendes Zeitdokument über die Geschehnisse und Beziehungen zwischen Algerien und den beiden deutschen Staaten, die von Frankreich beeinflusst wurden. Diese Beeinflussung hält bis heute an, wo es möglich ist, dass Bürgern der ehemaligen Kolonien Nord- und Westafrikas die Erteilung eines Visums für Deutschland verweigert wird, nur weil Frankreich dagegen ist !!


Abdelkerim Touati
Auf Wiedersehen, Kerim
Adieu, Kerim
Zweisprachige Deutsch/Französisch geschriebene Dokumentation
176 Seiten, Hardcover mit Umschlag und Leseband
1.Auflage 2013


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