Montag, 30. September 2013

Rezension: Wenn du den Regen suchst, der kommt von oben

9783942490108
Kinzelbach Verlag
YAHIA  BELASKRI

WENN  DU  DEN  REGEN  SUCHST,  DER  KOMMT  VON  OBEN


So kennt man Algerien nicht, wenn überhaupt.
Für Dehia bricht eine Welt zusammen. Ihre jüngeren Brüder, radikal-islamisierte Zwillinge, haben Ihre Mutter ermordet. Ihr Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann mit Kontakten zu Ministern, kommt gerade von einer Reise zurück. Er ist so entsetzt und schockiert, dass er nicht mehr sprechen kann und will. Enttäuscht von diesem Land und hasserfüllt zieht er sich immer mehr zurück und stirbt, verrückt geworden in einem entfernt gelegenen Krankenhaus.

Dehia ist eine moderne junge Frau, die in Französisch ihre Studenten in Soziolinguistik unterrichtet. Sie ist offen und Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann ist wichtig für sie. Die Studenten werden zusehends radikaler und sind religiös verbohrt. Für männliche Studenten zählt nur noch die Religion, sie sehen alles in schwarz-weiß, gut-böse, Islam und Arabische Länder gegen den Rest der Welt. Die Universitätsprofessoren stehen dem Verfall der Bildung machtlos gegenüber.
Eines Tages bietet der Vater eines ihrer Studenten viel Geld, eine Wohnung und eine gute Stelle im Ausland an, wenn sie ....
für den völlig unfähigen, faulen Ministersohn die Doktorarbeit schreibt, damit dieser als „Generaldirektor einer Vertriebsfirma“ einen Posten bekommt, bei dem er „keine Gefahr für die Gesellschaft“ darstellt. Dehia ist schockiert.
Dafür werden wirklich talentierte und fleißige Studenten, denen das „Bestechungsgeld“ fehlt, nur selten ein Auslandsstipendium erhalten und erfolgreich arbeiten können.

Nicht genug damit, dass ihre Mutter ermordet wurde, muss Dehia nun erfahren, dass ein Student am helllichten Tag ihren Freund und Kollegen Smail auf dem Campus der Uni erstochen hat.
Es gibt keine Sicherheit mehr für die Bürger dieses Landes. Selbst Universitätsprofessoren fallen den Islamisten zum Opfer, wo nur noch Korruption herrscht. Die Elite des Landes gehört inzwischen auch dazu, in dem sie gute Noten an Studenten verkauft und sich bereichert, wie die Politiker und Militärgeneräle, die den Reichtum dieses Landes nach dem Ende der Kolonisation unter sich aufteilen.
Die normale Bevölkerung ist schockiert, entsetzt, aufgebracht und machtlos, Opfer der Gewalt.

Adel ist der Sohn einer armen Arbeiterfamilie. Seine Eltern sind alt und krank, sterben bald, die Schwestern verheiratet, der ältere Bruder „stirbt vor Kummer und Traurigkeit“, der jüngere Bruder, Badil, gerät auf die schiefe Bahn, als er seine Arbeit verliert. Er fühlt sich von den Eltern zurückgesetzt, die immer nur Adel bevorzugen.

Adel liest viel, bildet sich, studiert, wird zum unerreichten Vorbild von Badil, arbeitet sich hoch, ist zunächst erfolgreich. Er lässt sich nicht verführen von den Annehmlichkeiten, die ihm geboten werden, er kämpft dagegen an, streitet, setzt sich durch. Doch eines Tages verliert er seine gute Stellung. Er findet eine neue Arbeitsstelle, setzt sich für die Arbeiter ein, will die Arbeitsbedingungen verbessern, Misswirtschaft und Korruption abschaffen. Ihm wird gedroht, erst versteckt, dann offen, er wird überfallen. Er fürchtet sich, muss einrenken und nachgeben, gegen sein Gewissen. Gerade als Basma, seine Arbeitskollegin und Freundin, ihm erzählt, dass ihre Eltern mit einer Hochzeit einverstanden sind, passiert es. Durch einen Bombenanschlag explodiert das Verwaltungsgebäude und begräbt Adel und Basma unter den einstürzenden Mauern. Nur Adel überlebt.

Badil wird wegen eines Diebstahls eingesperrt. Im Gefängnis wird er schikaniert und vergewaltigt. Zuerst wehrt er sich, aber es fehlen Gesetze, die ihn schützen würden und so ist er seinen Mithäftlingen und Wärtern ausgeliefert. Wenn Adel seinem Bruder Geld ins Gefängnis schickt, behält der Gefängnisdirektor ein Drittel für sich ein. Badil weiß es, er kann es nicht verhindern. Nach sieben von zehn Jahren wird er entlassen. Er findet Arbeit bei einem Geschäftsmann, der ihn wieder vergewaltigt.  Er soll Kinder überwachen, die für den Geschäftsmann betteln. Eines Tages wird ein Kind erstochen, das Leben geht weiter, nichts ändert sich. Badil hält es nicht mehr aus und fasst einen verhängnisvollen Entschluss.

Dehia, Adel, Badil leben in einem Algerien, das man so nicht kennt. Hört man von dem größten Land Afrikas, dann sind die Themen Entführungen, Bombenanschläge, Bürgerkrieg. Wie die Einwohner unter dem Druck der korrupten Machtelite und der Militärgeneräle leiden, die heute nichts anderes machen, als die französischen Kolonialherren, die 132 Jahre lang das Land unterdrückten, kann man sich hier nicht vorstellen. Dieses Buch beschreibt die Schicksale der Protagonisten beispielhaft für viele Bürger, denen es so oder ähnlich geht. Sie klammern sich verzweifelt an das Leben, aber an welches? Ist das ein Leben in Angst und Schrecken mit ungewissem Schicksal, dem sie jeden Tag ausgesetzt sind? So war die Situation in Algerien in den 1990er Jahren des Bürgerkriegs, dem Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind.

Manche schafften den Absprung auf die gegenüberliegende Mittelmeerseite, wie Dehia und Adel, viele blieben auf der Strecke, wie Badil.

Fazit:
Ein erschütterndes, aber wichtiges Buch, wenn man die Algerier, die in den überfüllten Städten des Nordens leben, verstehen möchte. Der jetzige Präsident versuchte nach zehn Jahren Bürgerkrieg eine Wende einzuleiten. Einiges hat sich inzwischen verbessert, aber nicht alles. Doch es herrscht Ruhe im Land, der Schrecken der Gewalt sitzt tief. Dies ist auch ein Grund, weshalb der „Arabische Frühling“ in Algerien nicht eingesetzt hat.

Es gibt allerdings auch eine andere Seite Algeriens, in dem Land, das 7mal größer als Deutschland ist. Der Süden war nicht von dem Grauen betroffen. Hier sorgen sich die Oasenbauern und Tuareg um genügend Regen, um eine gute Dattelernte und ob bald wieder Touristen in die Sahara reisen. Doch dies sind nicht die Themen dieses Buches.


Autor:
Yahia Belaskri wurde in Oran, der zweitgrößten Stadt im Westen Algeriens, geboren. Er studierte Soziologie und arbeitete in mehreren Unternehmen in verantwortlicher Position in Personalabteilungen. Dann wechselte er zum Journalismus. Seit 1988 lebt er in Frankreich. In seinen Artikeln, Essays und Kurzgeschichten beschreibt er die Geschichte von Algerien und Frankreich und thematisiert die Beziehungen beider Länder zueinander.
2008 erschien sein Roman „Le bus dans la ville“ und 2012 der Roman „Une longue nuit d’absence“ im Verlag Vents d’ailleurs. Sein 2010 erschienener Roman „Si tu cherches la pluie, elle vient d'en haut“ liegt nun in deutscher Übersetzung im Donata-Kinzelbach-Verlag vor.
Für diese Arbeit wurde Belaskri 2011 mit dem Prix Ouest-France  Etonnants-voyeurs ausgezeichnet.

Yahia Belaskri
Wenn du den Regen suchst, der kommt von oben
170 Seiten, Softcover
1. Auflage 2013
Preis: Euro 18,00   Buch kaufen