Samstag, 11. Januar 2014

Rezension: Wegrennen mit Mutter

Wegrennen mit Mutter
CHRISTOPHER  MLALAZI        Rezension



WEGRENNEN  MIT  MUTTER

Der Roman zeigt eine Momentaufnahme aus dem Süden Simbabwes, das Schicksal von Rudo und ihrer Mutter, einer Shona-Frau, die mit einem Ndebele-Mann verheiratet ist.

Der schockierende Auftakt eines ungewöhnlichen Romans.

Rudo geht mit ihren Freundinnen von der Schule nach Hause. Sie hören ein Geräusch und legen ihre Ohren auf die Fahrbahn, um herauszufinden, ob ein Auto, ein Lastwagen oder der Bus von Onkel Ndobo näher kommt. Plötzlich rast der Bus heran, schießt über die Kurve hinaus und verbrennt am Baum. Noch sind die Mädchen ganz gebannt vom soeben Erlebten, da nähert sich ein Militärlastwagen und Soldaten steigen aus. Auf der offenen Ladefläche liegt ein Mann, gefesselt und mit einer Mütze über dem Kopf. Rudo kommt diese Gestalt bekannt vor.
Rudo wird von den Soldaten weggeschickt, weil sie Shona spricht. Sie läuft ein paar Meter weiter und versteckt sich im Gebüsch. Ihre Freundinnen, Ndebele, werden misshandelt. Rudo hört sie schreien, nach einer Weile hört sie nichts mehr. Sie wagt sich auf die Straße und sieht ihre Mutter auf sich zulaufen. Die Mutter ist ganz erschöpft und bricht zusammen.     
Schon die ersten Zeilen fesseln in ihrer klaren Sprache und verleiten zum Weiterlesen.  

Rudo erzählt ihrer Mutter Mamvura, was sie erlebt hat und ihre Mutter erzählt, was sie zu Hause erlebt hat. Beide haben von den Soldaten dieselben Informationen bekommen. Diese Angelegenheit betrifft nur die Ndebele, nicht die Shona. Sie entschließen sich nach Hause zu gehen. Dort wartet die nächste böse Überraschung auf Rudo. Die Gehöfte ihrer Onkel und Tanten, alles Ndebele, werden niedergebrannt. Nur Tante Auntie ist nicht da, als die Soldaten kommen - sie überlebt. Wie durch ein Wunder (der Hoffnung) überlebt auch Rudos Cousin Giftie, ein fünfmonatige altes Baby, seine Eltern und Geschwister werden ermordet, sie verbrennen über ihm.

Mutter Mamvura und Auntie können gar nicht begreifen, dass so kurz nach der Unabhängigkeit (1980 von Großbritannien) nun wieder der Bürgerkrieg aufflammt. Da im Radio überhaupt nicht von den Ereignissen gesprochen wird, macht sich die Mutter auf den Weg ins Dorf, um die Polizei anzurufen. Doch dort sind nur Soldaten, die alle Dorfbewohner zusammentreiben und in die Schule einsperren. Auf dem Schulhof müssen sie sich nackt ausziehen. Mamvura versteckt sich und beobachtet, wie plötzlich der Zaun niedergerissen wird und die Leute zu fliehen versuchen. Die Soldaten schießen auf die Flüchtenden und verfolgen sie. Schnell rennt sie nach Hause. Nachdem auch Rudos zu Hause in Flammen aufgeht, gibt es nur noch die Flucht vor den Regierungssoldaten.   

Rudo, ihre Mutter Mamvura, der kleine Giftie, Tante Auntie und Onkel Ndoro fliehen in Richtung Bulawayo. Rudos Lehrer, die von den Soldaten in einer Schule mit den anderen Bewohnern der nahegelegenen Kleinstadt eingesperrt wurden, können fliehen. Sie verstecken sich, doch eine Kollegin wird angeschossen und so kommen sie nur langsam voran. Die Lehrerin, eine Weiße, bricht zusammen. Diese Szene beobachten Mamvura, Rudo und Auntie, die plötzlich bemerkten, dass sie verfolgt werden. Sie erkennen die Lehrer, doch sie sind skeptisch und schließen sich ihnen nicht an. Haben die Lehrer sie gesehen?

Ein sicheres Versteck scheint die kleine Gruppe in den Bergen gefunden zu haben und Rudo bleibt mit ihrer Mutter, Auntie, Giftie und Onkel Ndoro in einer geräumigen Höhle, um zu überlegen, wie sie sich weiter verhalten sollen. Es gibt Wasser und so überstehen sie die nächsten Tage. Sie beobachten die Hubschrauber, die über das Gebiet kreisen. Noch immer hören sie im Radio keine Nachrichten aus ihrer Region, geschweige denn eine Stellungnahme der Regierung. Plötzlich hören sie andere Stimmen am Berg. Was hält das Schicksal für die kleine Gruppe bereit?
Fazit:
Der Autor Christopher Mlalazi beschreibt das Schicksal mehrerer Menschen, Shona und Ndebele, das sich tausendfach so abgespielt haben könnte - bewegend, ergreifend, erschütternd.
Abseits der Hauptstadt Bulawayo, im Süden Simbabwes, können sich die Leute nur über das Radio informieren. Doch das, was sie hören, ist nicht das, was sie täglich vor Augen haben. Abgebrannte Häuser, nackte Leichen, Soldaten, die die Häuser anzünden und die Bewohner bei lebendigem Leib verbrennen. Sogar eine schottische Lehrerin wurde Opfer dieser Massaker.
Einfache Leute leben Jahre lang zusammen und plötzlich müssen sie mit ansehen, wie der Nachbar oder sogar der eigene Mann, nur weil er einem anderen Stamm angehört, gedemütigt, misshandelt oder ermordet wird. Nur weil es der niederträchtigen, korrupten Regierungspartei so gefällt.

Der Autor beschreibt die Gefühle, Ängste, Gedanken der Protagonisten präzise und unaufgeregt, mit klaren Worten. Sofort ist der Leser im Geschehen dabei und spürt, dass er genauso machtlos ist, wie die Fliehenden.

Autor:
Christopher Mlalazi (geb. 1970 in Bulawayo) erhielt bereits zahlreiche renommierte Preise für seine Kurzgeschichten und Theaterstücke. Zur Zeit lebt er als Stipendiat in Hannover, wo er gerade seinen nächsten Roman „They are coming“ beendet. Mehrere Schriftstellerstipendien führten ihn nach Uppsala in Schweden und in die USA.

Christopher Mlalazi
Wegrennen mit Mutter
Gebunden, 203 Seiten
1.Auflage 2013
Preis: Euro 16,80   Buch kaufen


Anmerkung:
Nach der Unabhängigkeit Zimbabwes von Großbritannien 1980, riss Robert Mugabe die Macht an sich, unterstützt von den Shona. Sein ehemaliger Mitstreiter gegen die Besatzungsmacht, danach aber Gegner, war Joshua Nkomo, der von den Ndebele unterstützt wurde.
Es kommt zu einer „Säuberungsaktion“ bei der die Partei Mugabes, die Ndebele verfolgen und grausam ermorden lässt. Heute lebt ein Teil der Ndebele in Südafrika.
Bekannt geworden sind die Ndebele durch die schönen, geometrischen Verzierungen ihrer Häuser und berühmt wurde der BMW mit den Mustern von Esther Mahlangu, der zur EXPO 2000 in Hannover gezeigt wurde.

Leider kann man das Beispiel der Verfolgung von Minderheiten in diesem Buch genauso auf andere Länder Afrikas anwenden, wie z.B. in Ruanda mit den Hutu und Tutsi, wo sich mit Sicherheit dieselben Schicksale ereignet haben.