Orlanda |
So wächst die Tochter zur Erwachsenen heran, hört von den Traditionen, die ihr die Mutter und deren Freundinnen versuchen näher zu bringen, lernt auch die Sprache der Mutter, aber nie so ganz. Sie lebt im Spanien von heute. Bei den Besuchen in Marokko kommen ihr Kindheitserinnerungen in den Sinn. Aber so ganz kommt sie nicht in Marokko an und will es auch nicht.
Mutter und Tochter arbeiten noch mehr, damit sie das Geld für die Hochzeit und die Überfahrt für den zukünftigen Cousin-Ehemann aufbringen können, damit er nach Spanien kommt.
Najat el Hachmi greift ein Thema auf, das viele Frauen (nicht nur Migrantinnen) betrifft. Um dem Ruf der Familie nicht zu schaden, nimmt die Tochter zu viel auf sich und kommt aus der Abstiegsspirale nicht mehr heraus.
Ich möchte einen Gedanken zitieren, den die Autorin am Ende des Buches zu Recht formuliert, einen Vorwurf, den sich die europäische Gesellschaft gefallen lassen muss. „Alle Prophezeiungen haben sich erfüllt, die über mir dräuten, wie über allen Töchtern der Marokkanerinnen hier: Es lohnt sich eigentlich nicht, sie zur Schule zu schicken, hörte ich einmal jemanden sagen: Sobald sie ein bisschen älter sind, werden sie in ihrem Land verheiratet, und zack Kopftuch, Hausfrau, Kinder kriegen. Aber die Leute, die so reden, denken nie an unsere Einsamkeit und bieten uns keine Alternative; wenn wir gegen unsere Familien aufbegehren, stellen sie uns keinen Ort zur Verfügung, an dem wir Zuflucht finden könnten. Lasst euch nicht gängeln, rebelliert gegen die altmodischen und primitiven Traditionen eures Volks, entflieht der Diskriminierung und dem Sexismus. Aber wenn wir die Brücke überqueren, was erwartet uns auf der anderen Seite? Eine tröstende Umarmung und Hilfe, die wir bräuchten? Oder nicht vielmehr eine eisige Gleichgültigkeit, ein „Sieh zu, wie du zurechtkommst, hier gibt es nichts geschenkt?“ Und habt ihr je darüber nachgedacht, wer diejenigen sind, die nicht über die Brücke kommen? Versteht ihr nicht, dass man die Schwächsten nicht im Stich lassen darf, jene, die weder das Wissen haben noch die Möglichkeit, frei entscheiden zu können, wie sie leben wollen ? …“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Ein aufwühlendes Buch, sehr
gut geschrieben, absolut empfehlenswert.