Dienstag, 30. Oktober 2012

Moderne Nomaden und fliegende Händler - Tuareg und Tourismus in Niger


Moderne Nomaden und
fliegende Händler,
Tuareg und Tourismus
im Niger

 Das vorliegende Fachbuch des Ethnologen Marko Scholze behandelt die Entwicklung des Tourismus und das Handeln der Tuareg als Akteure im Tourismus im Nordniger, im Air-Gebirge und zeigt die positiven wie auch die negativen Einflüsse auf, die der Fremdenverkehr auf die Tuareg-Gesellschaften ausüben.

Was sind „moderne Nomaden“, was sind „fliegende Händler“ ?

Waren früher Nomaden mit ihren Tieren unterwegs, werden heute Lastwagen als Transportmittel bevorzugt. Fliegende Händler sind von Markt zu Markt ziehende Verkäufer, die ihre Waren in verschiedenen Orten anbieten.

Im vorliegenden Fachbuch sind die „modernen Nomaden“, die im Tourismus arbeitenden Tuareg im Norden des Niger, die mit Geländewagen das Air-Gebirge und die Ténéré bereisen und europäischen oder amerikanischen Touristen ihr Land zeigen. ...

Bildquelle: LIT-Verlag Dr. W. Hopf

Sie greifen auf „moderne“ Mittel wie Internet, E-Mail, Satellitentelefon zurück und nehmen teilweise eine „moderne“ Lebensweise an.

Die „fliegenden Händler“ sind die Schmiede, die traditionell die Handwerker der Tuareg waren und die heute ihren Silberschmuck und andere Andenken für Touristen herstellen und diese nicht nur auf dem Markt sondern direkt „an den Mann oder die Frau“ bringen und sich an attraktiven Plätzen wie dem Wasserfall in der Nähe der Oase Timia aufhalten und teilweise nach Europa reisen, um ihre Ware den Kunden auf den verschiedenen (Afrika-) Festen im Sommer anzubieten.

Diese "modernen Nomaden" und "fliegenden Händler" sind vom Tourismus abhängig, sie leben im Niger, einem Land, das im globalen Tourismus fast keine Rolle spielt, denn überhaupt bekannt ist.
Dies bringt dem Wissenschaftler, der sich mit Tourismusethnologie befaßt, manchen Vorteil. Er kann so seine Feldforschungen „näher“ an den im Tourismus tätigen Tuareg, denn um diese geht es in dem vorliegenden Sachbuch, betreiben, ohne sich durch eine „massentaugliche, touristische Infrastruktur“ kämpfen zu müssen. Denn wer hat beispielsweise auf Mallorca nicht in irgendeiner Art mit Tourismus zu tun.

Die Tuareg haben den Tourismus selbst in der Hand

Der Autor Marko Scholze geht verstärkt auf die Arbeit der Tuareg ein, die als Agenturchefs mit den ausländischen europäischen bzw. amerikanischen Reiseveranstaltern in Verbindung stehen. Er läßt die Tuareg selbst zu Wort kommen und schreibt nicht nur über sie.
Er geht der Frage nach, wie weit der Fremdenverkehr bzw. die Arbeit im Tourismus die Traditionen und Lebensweise der betroffenen Tuareg beeinflußt oder verändert. Er beschreibt das Verhältnis zwischen den Akteuren im Tourismus (Agenturleiter, Fahrer, Führer, Kamelhirten, Helfer) und den Dorfbewohnern, Stadtbewohnern, Verwandten und Familien.
Er zeigt das Handeln der Tuareg in diesem Wirtschaftszweig als Agenturchefs in Agadez, Fahrer und Führer, die unmittelbar am Gelingen einer Reise beteiligt sind sowie die Händler, Schmiede und Dorfbewohner der Oase Timia, die während der meisten Expeditionen besucht werden und die so ebenfalls in den Tourismus der Region direkt einbezogen sind.

Übersichtliche Gestaltung erleichtert den Lesefluss

Die Gestaltung des vorliegenden Sachbuchs ist übersichtlich und klar. Jedes der sieben Kapitel gliedert sich in mehrere Unterkapitel, die mit einer Zusammenfassung enden. Die Texte selbst sind wissenschaftlich nüchtern abgefaßt und weisen stellenweise viele Wiederholungen der Fachausdrücke auf. Nötige Erklärungen stehen unten auf der gleichen Seite, was ein flüssiges Lesen ermöglicht.
Zwei Karten, zwölf Farbabbildungen, sowie Tabellen der ausgewerteten Reisekataloge und Reiseführer, und der Rankings der Agenturen in Agadez und Timia für die Tourismussaison 2000/2001 und 2001/2002 ergänzen die Ausführungen.
Ein Erfahrungsbericht eines Tourenführers beschreibt die heikle Lage, in die eine Reisegruppe kommen kann.
Das Glossar enthält Ausdrücke in Tamaschek mit deutscher Erklärung. Im Text wurde übersehen, dass Tuareg bereits das Plural ist, Singular ist Targi für den Mann und Targia für die Frau.
Eine umfangreiche Bibliographie mit wissenschaftlicher und populärer Literatur wurde am Ende des Buches aufgelistet.

Der Autor

Marko Scholze studierte in Bayreuth und Bordeaux Ethnologie, Afrikanistik und Religionswissenschaft. Für seine Feldforschungen reiste er mehrmals in den Niger und nahm an touristischen Reisen teil. Er hielt sich länger in Agadez und Timia auf, um die Tourismusverantwortlichen wie Agenturleiter, Fahrer, Führer, Schmiede, Köche, Hirten und Dorfbewohner von Timia zu interviewen. Seit November 2008 arbeitet er in Frankfurt am Main an der Goethe-Universität im Institut für Ethnologie.

Das vorliegende Fachbuch ist ein Beitrag zur Afrika Forschung, herausgegeben vom Institut für Afrikastudien in Verbindung mit dem Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg „Lokales Handeln in Afrika im Kontext globaler Einflüsse“ der Universität Bayreuth und dem LIT- Verlag Dr. W. Hopf, Münster.

Fazit

Dieses Fachbuch zeigt einmal mehr, wie umfangreich das Thema Tourismus in einer bestimmten Region bzw. der Einfluß der Touristen auf die besuchte Bevölkerung erörtert werden kann. Es spricht Wissenschaftler an und ist gleichzeitig ein guter Ratgeber für Reiseveranstalter und Reiseleiter nicht nur in der Sahara. Es gibt den angesprochenen Lesergruppen Möglichkeiten über ihren Umgang mit der besuchten Bevölkerung und den fremden Einfluß nachzudenken. Die beschriebenen Themen lassen sich auch auf andere Länder und Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel den Dogon in Mali, den Aborigines in Australien, den San in Südafrika, etc. ausweiten.

Es ist kein (Reise-) Buch für Touristen, die im Rahmen einer Pauschal- oder individuellen Reise den Nordniger besuchen.

Der Untertitel, Tuareg und Tourismus in Niger, erinnert im ersten Moment an das Buch des Österreichers Harald A. Friedl, der das selbe Thema behandelt. Gleiches Land (Niger), gleiche Orte (die Stadt Agadez, die Oase Timia), gleiche Volksgruppe, die Tuareg, teilweise gleiche Akteure. Dennoch gibt es viele Unterschiede. Friedl spricht mit seinem Buch eher ein breites Publikum an und geht mehr auf die Geschichte, das Alltagsleben ein und gibt eigene Erfahrungen als Reiseleiter wieder. Wobei der Titel „Kulturschock Tuareg“ (vom Verlag) mehr als unglücklich gewählt wurde.


Moderne Nomaden und fliegende Händler - Tuareg und Tourismus in Niger
Beitrag zur Afrika – Forschung, Band 34
LIT – Verlag Dr.W.Hopf, Münster
erschienen Dezember 2009, 488 Seiten, 12 Farbabbildungen, 2 Karten
ISBN 2-8258-0716-0    Euro 34,90


Anmerkung zur Lage im Niger:

Der Tourismus ist seit der Rebellion zum Erliegen gekommen und hat sich bis heute nicht erholen können, da es zu keiner wirklichen Einigung zwischen Regierung und Rebellengruppen kommt und sich dadurch keine Verbesserung der Lebensumstände für die Tuareg abzeichnet. Im Gegenteil, das nigrische Militär zerstörte große Teile von Iférouane, ganze Dörfer wurden ausgelöscht, die Bewohner in die Wüste getrieben.

Zudem kam es zu Regenfällen in Bilma, die die aus Salzziegel gebauten Häuser zerstörten und so die Bewohner in eine katastrophale Lage brachten, was keine Erwähnung in den europäischen Medien fand.
Zuletzt wurden durch die starken Regenfälle und Überschwemmungen im letzten Jahr auch in Agadez und weiteren Orten im Niger ganze Straßenzüge zerstört.