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KAOUTHER ADIMI
WAS UNS KOSTBAR IST Roman
2015, nach 80 Jahren, soll die Buchhandlung verkauft
werden. Warum eine Stadtbibliothek/Buchhandlung einem privaten Käufer
überlassen, der daraus ein Restaurant machen möchte, wo rechts eine Pizzeria
und links ein Lebensmittelgeschäft ist ?, fragt sich der Journalist, der über
die Schließung einen Artikel schreibt. „Es stört wohl niemanden, dass wir nicht
mehr lesen, uns nicht mehr bilden können?“, denkt er. Er notiert „Der Staat
verschleudert die Kultur, um an jeder Straßenecke eine Moschee zu bauen! Es gab
einmal eine Zeit, in der Bücher so wertvoll waren, dass wir sie respektvoll
betrachteten, sie unseren Kindern versprachen, sie geliebten Menschen
schenkten!“ Wie wahr.
Der Student Ryad soll die Buchhandlung räumen, alles
wegwerfen und die Wände streichen. Er begegnet Abdallah, der dort gearbeitet
hat, der ihm von seinem Leben und seiner Arbeit erzählt, als die Buchhandlung
eine Außenstelle der Nationalbibliothek wurde. Das war während des algerischen
Bürgerkriegs (1991 - 2002).
Die Autorin Kaouther Adimi schreibt aus der Sicht der
Bewohner des Viertels in der ersten Person im Plural - das verbindet. Sie blickt
zurück: 1930 feiert Frankreich die Einnahme Algiers vor 100 Jahren. Die
Algerier beginnen sich Gedanken zu machen. Sie wollen die koloniale Autorität
und Unterdrückung nicht mehr länger hinnehmen. „Wir müssen kämpfen, Rechte
einfordern, uns organisieren“, sagt der eine und der andre stimmt zu, „wie
lange ducken wir uns noch? Der Code de L’indigéant macht uns zu einer
Unterkategorie von Menschen in unserem eigenen Land. Hier ist aber unser
Zuhause.“
Vor diesem Hintergrund eröffnet der Algerienfranzose
Edmond Charlot 1936 seine Leihbibliothek, die gleichzeitig Verlag und
Buchhandlung wird. Von einer Reise nach Paris hat er die Idee mitgebracht.
Die Buchhandlung soll ein Ort der Begegnung mit der
Literatur, der Freunde und Autoren werden, die „das Mittelmeer lieben“ - auf
beiden Seiten. Sein Traum ist, das zu publizieren, was ihm gefällt und dass er „vor
der Presse und den Lesern wirklich vertreten kann“. Albert Camus ist von Beginn
an dabei, später verlegt Edmond Charlot
die Schriftsteller Jean Giono, Jean Amrouche, Jules Roy, Mohammed Dib,
Mouloud Feraoun, André Gide, Kateb
Yacine und viele andere. Sein Motto: „Junges, von Jungen für Junge“.
Immer wieder hat Edmond Charlot mit den Wechseln der
Geschichte zu kämpfen. 1939 veröffentlicht er als erster das Buch „Noces“
(Hochzeit des Lichts) von Albert Camus und wird zur Armee eingezogen. Im Juli
1940 kehrt er nach Algier zurück. Nur unter Schwierigkeiten betreibt er sein
Geschäft weiter, es gibt kein Papier, anderes ist wichtiger als Lesen, die Druckerei
ist geschlossen, Geld ist kaum vorhanden. Trotzdem erhält er weiterhin viele
Manuskripte und muss die Schriftsteller vertrösten. Die Leser nehmen was da
ist.
1942 verbringt er einen Monat im Gefängnis, weil er von
Gertrude Stein denunziert wird. Frankreich und Algerien waren von Deutschland
besetzt. 1945 wird er wieder eingezogen, dieses Mal nach Paris. „Les Vrais
Richesses“ führen seine Frau und sein Bruder weiter. In Paris gründet er einen
zweiten Verlag, doch auch in Paris gibt es Schwierigkeiten, nicht nur mit der Papierbeschaffung
und den Finanzen, sondern auch mit Konkurrenten. Die Schulden belaufen sich auf
mehrere Millionen Franc und so kehrt Edmond Charlot gescheitert 1948 nach
Algier zurück. Dann beginnt 1954 der algerische Unabhängigkeitskrieg. Schriften
werden zensiert, die Gründung einer Zeitschrift verschoben, Algerier werden
gefoltert, ermordet. 1961 werden die zweite Buchhandlung von Edmond Charlot und
das Archiv durch einen Bombenanschlag zerstört. Alles ist kaputt, nur noch
Schutt und Staub. War es ein Anschlag der OAS? Das Ende Frankreichs in Algerien
zeichnet sich ab. Edmond Charlot hat Glück im Unglück. Er erhält eine Arbeit beim
Radiosender France 5 Algier.
Fazit:
Eine unglaublich beeindruckende Arbeit der jungen Schriftstellerin
Kaouther Adimi. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen Literatur und
Zeitgeschehen her und beleuchtet das Zusammenleben zwischen Algeriern und (Algerien-)Franzosen.
Gleichzeitig erinnert sie an die vielen Schriftsteller, die Edmond Charlot
durch seinen Verlag bekannt und berühmt machte.
Der Leser erfährt nicht nur, wie schwierig es in der
damaligen Zeit war eine Buchhandlung zu führen sondern auch, wie wichtig die
Arbeit des Verlags war, der schnell Flugblätter drucken oder ein Theaterstück,
das verboten wurde, als Roman herausgeben konnte.
Für die Freunde, die Autoren waren, war Edmond Charlot als
Verleger wie ein Vater, der seine Kinder an die literarische Hand nahm und sie
immer unterstützte. Trotz der vielen Änderungen in seinem Leben hielt Edmond
Charlot an seiner Arbeit fest bis es nicht mehr ging.
Ein wunderbar, einfühlsames Buch mit viel Sorgfalt und
Liebe zur Literatur geschrieben.
PS. Bei meinem nächsten Besuch in Algier werde ich in die
Rue Hamami gehen... Tatsächlich habe ich Anfang Juni 2019 die Bibliothek besucht.
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