Boko Haram |
Rezension
MIKE SMITH
BOKO HARAM - Der Vormarsch des Terror-Kalifats
Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas (170
Millionen Einwohner) und durch seine reichen Erdölvorkommen eigentlich ein
reiches Land. Und Nigeria ist zweigeteilt - in den reichen Süden mit
christlichen und anderen Religionen und den armen Norden mit muslimischen und
anderen Religionen. Die Präsidenten wechseln nach zwei Amtsperioden zwischen Nord
und Süd ab, seit Mai 2015 ist wieder Muhammadu Buhari Staatspräsident, der
dieses Amt bereits von 1983-1985 innehatte. Soziale, ethnische, regionale, religiöse
Spannungen und eine unglaubliche Korruption bringen immer wieder Gewalt hervor
und lassen Gruppen wie Boko Haram entstehen.
Der Journalist Mike Smith hat drei Jahre lang in Nigeria
bei der Agentur Agence France-Press (AFP) gearbeitet und die Geschehnisse im
Land verfolgt. In seinem Buch gibt er einen wichtigen Überblick über die
aktuelle Situation im Land, Entwicklung und Aufstieg von Boko Haram, Armut,
Korruption und „den Fluch des Öls“.
Ein wichtiges Kapitel beschreibt die Geschichte, die
anschaulich die Entwicklung des Landes bis zur Gründung von Gruppen wie Boko
Haram darstellt.
Etwa im 8. Jahrhundert verbreitete sich der Islam auf
friedliche Weise mit den Händlern in Westafrika, ein Islam, der mit den heutigen
Extremisten in keinster Weise vergleichbar war. Die Reiche Kanem und Bornu
waren im Mittelalter reiche und stolze Regionen am südöstlichen Ende des
Tschadsees und dominierten in Westafrika durch Handel und die Beziehungen
erreichten die arabischen Länder des Nahen Ostens. Im frühen 19. Jahrhundert
errichtete der Fulbe Osman dan Fodio das Kalifat von Sokoto im damaligen
Haussaland.
Im Zuge der europäischen Kolonialisierung Afrikas drangen
Engländer von der Küste aus immer weiter in den Norden Nigerias vor. Eisenbahnlinien
und Straßen verbanden die Landesteile, Kaufleute und Händler vom Norden ließen
sich im Süden nieder und anders herum brachten Leute aus dem Süden ihre
Lebensweise in den Norden mit. Die verschiedenen Landesteile sollten
miteinander vereint werden und so entstand ein föderaler Staat aus Norden,
Westen und Osten, deren Premierminister alle zwei Amtsperioden wechselten. Im
Norden blieben die traditionellen Strukturen mit der Verwaltung durch die Emire
von Sokoto bis zu Unabhängigkeit 1960 erhalten. Aufgrund seiner Bevölkerungsdichte
und seiner Größe erhielt der erste Premierminister aus dem Norden die meisten
Sitze. Dieser nutzte die Gelegenheit und verbesserte die Lebensbedingungen für sich
und die Bevölkerung im Norden, was zu Spannungen mit dem Süden führte. Als 1956
Erdöl gefunden und gefördert wurde, änderte sich die Lage und der Süden begann
die Wirtschaft zu dominieren.
Nach der Unabhängigkeit kam es erneut zu ethnischen
Spannungen zwischen den Völkern im Süden und dies löste den Biafrakrieg aus,
der von 1967 bis 1970 dauerte. Es folgten etliche gestürzte Präsidenten und
leere Staatskassen.
Über alldem steht die unglaubliche Korruption, die das
Land beherrscht und Millionen von Naira in den Taschen der Politiker und ihrer
Helfer verschwinden lässt, so dass ein sehr reiches Land eine sehr arme
Bevölkerung hat. Im Nigerdelta beginnt der Kampf um die Gewinne aus der Erdölproduktion,
Erdölpipelines werden in die Luft gesprengt, ausländische Ölarbeiter entführt. Im
Norden verbreitet sich die Frustration unter den zahlreichen jugendlichen
Arbeitslosen, was letztendlich zum Aufkommen von Gruppen wie Boko Haram führt,
die zum Ersten die soziale Ungerechtigkeit anprangern und nachdem es keine
Verbesserung gibt, den Staat angreifen. Bombenanschläge und Mord gehören nun im
Norden zum Alltag. Nach dem ersten Chef von Boko Haram, Muhammed Yussuf,
organisierte sich die Gruppe um Abubakr Shekau neu und noch brutalere Anschläge
folgten. Uneinigkeit spaltete die Gruppe und es entstand Ansaru, die auch vor
Entführungen, Selbstmordanschlägen und Gebietsbesetzungen nicht zurückschreckt.
Autor:
Der amerikanische Journalist Mike Smith hat seit 2010 den
Aufstieg von Boko Haram in Nigeria für die Nachrichtenagentur AFP beobachtet
und ist in zwischen in Paris tätig. Zahlreiche Artikel in großen Zeitungen und
Magazinen wie „State Magazine“ oder „The Guardian“ sind von ihm erschienen.
Fazit:
Der Autor schildert in seinem Buch den Beginn und
Aufstieg der Terrororganisation Boko Harram. Dabei ist das Kapitel über die Geschichte
und die Entwicklung Nigerias bis heute sehr interessant und aufschlussreich. Es
zeigt, wie sich Gruppierungen wie Boko Haram entwickeln konnten. Der Autor schildert
den Lebensweg von Mohammed Yusuf, dem Gründer der Gruppe und seiner Nachfolger und
beschreibt die Spannungen zwischen Militär, Regierung, Bürgerwehren und Boko
Haram. Die zahlreichen Attentate und später die Entführungen, auch der
Schülerinnen in Chibok, deren Schicksal immer noch nicht ganz geklärt ist.
Es wird in den europäischen Medien kaum berichtet, in wie
weit der nigerianische Staat, die Armee und die Regierung durch Korruption und
Nichtstun den Terroristen in die Hände spielt. Selbst organisierte Bürgerwehren
und die Familien der entführten Schülerinnen, die die Organisation „Bring back our
Girls“ gründeten, wurden zu Opfern der Regierungsverschleierungstaktik. Alleiniges
Opfer ist die Bevölkerung dieses ölreichen Staates - ein Drama.
Ein spannendes und erschütterndes Buch, sehr gut zu lesen
und empfehlenswert für diejenigen, die sich für die Hintergründe der
Terrorgruppe Boko Haram interessieren.