Sonntag, 18. März 2018

Rezension: Und von Tanger fahren die Boote nach irgendwo

Bebra
REZENSION

JALID  SEHOULI

Und von Tanger fahren die Boote nach irgendwo

Die Eltern des Autors verlassen ihre Heimatstadt Tanger um über Umwege in Berlin zu landen. Hier wird Jalid Sehouli geboren und aufwachsen. Er hat eine Schwester und einen Bruder. In den Sommerferien fährt die Familie im Auto nach Marokko.

Seine Erlebnisse in Tanger und dem Heimatort seiner Mutter im Rifgebirge, seine Begegnungen mit der Stadt und den dort lebenden Menschen verarbeitet Sehouli im vorliegenden Buch. Wichtig sind ihm vor allem Menschen und ihre Schicksale.
Heute sind Tausende auf der Flucht. Auch Tanger ist eine Stadt, die Flüchtlinge aufnimmt, früher und heute. Früher flohen Menschen, viele Glücksritter, Schmuggler und Gesetzesbrecher nach Tanger, heute fliehen sie aus der Stadt nach Europa, Menschen, die voller Hoffnung auf die andere Seite des Mittelmeers schauen, doch leider oft enttäuscht werden.

Sehoulis Eltern hatten Glück und konnten ihren Kindern in Berlin eine gute Ausbildung ermöglichen. Heute ist der Autor ein anerkannter Krebsspezialist an der Charité.
Und nun reist Sehouli als Erwachsener in das Land seiner Eltern, um Tanger erneut zu erleben und zu entdecken, ebenso wie nach Marrakech, dessen sehr emotionales Porträt in einem anderen Buch 2017 veröffentlicht wurde.

Der Autor beschreibt in kurzen Abschnitten, die manchmal nur eine halbe Seite lang sind und in längeren Kapiteln die „weiße Perle Marokkos“, mal die Geschichte, dann die Geschichten anderer Menschen, die ihr Schicksal mit Tanger verbinden, wie Schauspieler, Romanschreiber, Modemacher. Er beschreibt die Gerüche, Farben, Plätze, Straßen, Entdeckungen mit offenen Augen und offenem Herzen.

Vor allem ist es ein Buch der Begegnungen. Jalid Sehouli trifft Menschen, die wie er nach Tanger reisen und ihm ihre Geschichten anvertrauen, Menschen aus Berlin, die ihm die Erlebnisse in Tanger erzählen und Begegnungen, die er mit den Menschen in Tanger hat oder auch Reisende, Schriftsteller, Historiker vor ihm.
Er wird sogar vom König eingeladen und das Fest der Thronbesteigung wird ausgerechnet in jenem Jahr in Tanger zelebriert.

Ein wichtiges und bewegend geschriebenes Kapitel ist der Abschied von der Mutter, das einen großen Raum im Buch einnimmt. In Berlin gestorben, war es ihr Wunsch in Tanger beerdigt zu werden und so fliegt die Familie nach Marokko.
Leider nimmt auch ein sehr unschönes Geschehen mehrere Kapitel ein - der Überfall zweier Männer, die den Arzt und seinen Mitarbeiter sehr schwer verletzen - wahrscheinlich aus Rache. Es dauert eine gewisse Zeit, bis er die Arbeit wieder aufnehmen kann, die Angst bleibt vorerst. Doch die Reisen nach Tanger helfen, das Geschehene zu verarbeiten.

17 Rezepte der Familie werden hier zum Nachkochen preisgegeben, von Harira über Pastilla bis Tajine. Anschließend schreibt Jalid Sehouli in seinem „kleinen Dossier über mich“, warum sein Vorname mit J beginnt, über seine Eltern, seine Lieblingsgerichte. Eine kurze Literaturliste beschließt das Buch.

Autor:
Jalid Sehouli wird 1968 in Berlin geboren, seine Eltern stammen auch Nordmarokko. Er studiert Humanmedizin an der Freien Universität Berlin und ist heute Ordinarius an der Charité. Sehouli gehört zu den führenden Krebsspezialisten der Welt. 2012 erschien sein Buch „Marrakesch“.

Fazit:
Auch dieses Buch von Jalid Sehouli ist eine sehr persönliche Begegnung mit der Stadt Tanger, an der der Leser teilnimmt. Interessant ist die Geschichte des Artisten Hassan, der als Akrobat in einer Zirkus-Gruppe in Europa unterwegs ist. Immer wieder fließen auch Patientengeschichten in das Buch ein, die den Autor sehr bewegen. Sehr schön ist das Treffen mit den Verwandten der Mutter beschrieben.
Ein interessantes Buch mit vielen Facetten, wie das Leben selbst.


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