Bebra |
JALID SEHOULI
Und von Tanger fahren die Boote nach irgendwo
Die Eltern des Autors verlassen ihre Heimatstadt Tanger um über Umwege in Berlin zu landen. Hier wird Jalid Sehouli geboren und aufwachsen. Er hat eine Schwester und einen Bruder. In den Sommerferien fährt die Familie im Auto nach Marokko.
Seine Erlebnisse in Tanger und dem Heimatort seiner
Mutter im Rifgebirge, seine Begegnungen mit der Stadt und den dort lebenden
Menschen verarbeitet Sehouli im vorliegenden Buch. Wichtig sind ihm vor allem
Menschen und ihre Schicksale.
Heute sind Tausende auf der Flucht. Auch Tanger ist eine Stadt,
die Flüchtlinge aufnimmt, früher und heute. Früher flohen Menschen, viele
Glücksritter, Schmuggler und Gesetzesbrecher nach Tanger, heute fliehen sie aus
der Stadt nach Europa, Menschen, die voller Hoffnung auf die andere Seite des
Mittelmeers schauen, doch leider oft enttäuscht werden.
Sehoulis Eltern hatten Glück und konnten ihren Kindern in
Berlin eine gute Ausbildung ermöglichen. Heute ist der Autor ein anerkannter
Krebsspezialist an der Charité.
Und nun reist Sehouli als Erwachsener in das Land seiner
Eltern, um Tanger erneut zu erleben und zu entdecken, ebenso wie nach
Marrakech, dessen sehr emotionales Porträt in einem anderen Buch 2017 veröffentlicht
wurde.
Der Autor beschreibt in kurzen Abschnitten, die manchmal
nur eine halbe Seite lang sind und in längeren Kapiteln die „weiße Perle
Marokkos“, mal die Geschichte, dann die Geschichten anderer Menschen, die ihr
Schicksal mit Tanger verbinden, wie Schauspieler, Romanschreiber, Modemacher. Er
beschreibt die Gerüche, Farben, Plätze, Straßen, Entdeckungen mit offenen Augen
und offenem Herzen.
Vor allem ist es ein Buch der Begegnungen. Jalid Sehouli
trifft Menschen, die wie er nach Tanger reisen und ihm ihre Geschichten anvertrauen,
Menschen aus Berlin, die ihm die Erlebnisse in Tanger erzählen und Begegnungen,
die er mit den Menschen in Tanger hat oder auch Reisende, Schriftsteller,
Historiker vor ihm.
Er wird sogar vom König eingeladen und das Fest der
Thronbesteigung wird ausgerechnet in jenem Jahr in Tanger zelebriert.
Ein wichtiges und bewegend geschriebenes Kapitel ist der
Abschied von der Mutter, das einen großen Raum im Buch einnimmt. In Berlin
gestorben, war es ihr Wunsch in Tanger beerdigt zu werden und so fliegt die
Familie nach Marokko.
Leider nimmt auch ein sehr unschönes Geschehen mehrere
Kapitel ein - der Überfall zweier Männer, die den Arzt und seinen Mitarbeiter
sehr schwer verletzen - wahrscheinlich aus Rache. Es dauert eine gewisse Zeit,
bis er die Arbeit wieder aufnehmen kann, die Angst bleibt vorerst. Doch die
Reisen nach Tanger helfen, das Geschehene zu verarbeiten.
17 Rezepte der Familie werden hier zum Nachkochen preisgegeben,
von Harira über Pastilla bis Tajine. Anschließend schreibt Jalid Sehouli in
seinem „kleinen Dossier über mich“, warum sein Vorname mit J beginnt, über
seine Eltern, seine Lieblingsgerichte. Eine kurze Literaturliste beschließt das
Buch.
Autor:
Jalid Sehouli wird 1968 in Berlin geboren, seine Eltern
stammen auch Nordmarokko. Er studiert Humanmedizin an der Freien Universität
Berlin und ist heute Ordinarius an der Charité. Sehouli gehört zu den führenden
Krebsspezialisten der Welt. 2012 erschien sein Buch „Marrakesch“.
Fazit:
Auch dieses Buch von Jalid Sehouli ist eine sehr
persönliche Begegnung mit der Stadt Tanger, an der der Leser teilnimmt. Interessant
ist die Geschichte des Artisten Hassan, der als Akrobat in einer Zirkus-Gruppe
in Europa unterwegs ist. Immer wieder fließen auch Patientengeschichten in das
Buch ein, die den Autor sehr bewegen. Sehr schön ist das Treffen mit den
Verwandten der Mutter beschrieben.
Ein interessantes Buch mit vielen Facetten, wie das Leben
selbst.
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