Dienstag, 27. März 2018

Rezension: Die Flügel meines schweren Herzens

Manesse
Rezension

Die Flügel meines schweren Herzens     

Khalid al-Maaly


Schon der Untertitel lässt aufhorchen: Lyrik arabischer Dichterinnen. Natürlich dichten Frauen in Arabien, allerdings finden nur wenige Bücher geschweigen denn Gedichtbände den Weg in unsere Buchhandlungen. Dies ändert sich nun mit der Anthologie von Khalid al Maaly. Die ausgewählten Gedichte geben „einen … Einblick in das Selbstverständnis und die Interessen, in die Lebenssituation und gesellschaftliche Stellung arabischer Frauen“ vom 5. Jahrhundert bis heute.

Man staunt über die Freiheiten der arabischen Frau, die sich u.a. ihren Ehemann selbst aussuchen und ihn verstoßen konnte, wenn sie wollte. Viele Gedichte sind in der vorislamischen Zeit entstanden und einige davon recht „freizügig“ formuliert.

Niedergeschrieben wurden die mündlich weitergegebenen Gedichte erst ab Mitte des 9. Jahrhunderts. Zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert, während der Abbasidenherrschaft, „traten Sklavinnen vermehrt als Verfasserinnen ... hervor“. Araber hielten sich schwarze und weiße Sklaven, besonders Könige und Adelige legten Wert auf eine große Anzahl. Weiße, Frauen und junge Sklaven wurden bevorzugt und sie wurden unterrichtet, um später einen guten Preis auf dem Markt zu erzielen. Dichtkunst war neben „Gesang, Tanz, Schach, etc.“ und sexuellen Qualitäten ein wichtiger Punkt der Ausbildung.

Themen der gesammelten Lyrik sind neben der Liebe viele Gedanken zum Tod und Trauer, Verlust bei kriegerischen Auseinandersetzungen, „Ansporn und Aufstachelung zum militärischen Kampf“, Gedichte zum Gefallen der Herrscher oder „Spott- und Schmähgedichte gegen den Mann“, aber auch Lyrik über die soziale Stellung der Frau, beispielsweise während der kulturellen Blütezeiten in der abbasidischen Epoche ab dem 8. Jahrhundert oder später in Andalusien, in denen die Frauen einen größeren Anteil am kulturellen, künstlerischen und gesellschaftlichen Leben mit mehr Freiheiten hatten.

Gedicht von Bassma Shaikho aus Syrien (Auszug):

Was tu‘ ich noch hier?
Allein in dieser Stadt
Ich läute sonntags die Glocken ihrer Kirchen
Und rufe von jedem Minarett herab zum Gebet
Ich rufe nach den Verschollenen
Und Bete für alle, die fortgegangen sind
Ich gehe auf den Märkten umher
Käufer und Verkäufer bin ich
Ich schließe um acht
Die Schlüssel der sieben Tore hab‘ ich in der Hand
Ich schließe sie
Und gehe schlafen
Oder um zu sterben
Mir ist das einerlei
Denn ich bin die letzte Bewohnerin von Damaskus …

Die Dichterinnen stammen aus dem Jemen, heutigem Irak, der arabischen Halbinsel, Andalusien, Algerien, Ägypten, Marokko, Libyen, Äthiopien, Libanon, Kuwait, Damaskus, Bagdad, etc.
Es empfiehlt sich zuerst die kurze Vorstellung der 59 Frauen und das Nachwort zu lesen, um die Verschiedenheit der Gedichte und Hintergründe besser zu verstehen.

Der Herausgeber Khalid al-Maaly hat zusammen mit Heribert Becker die Gedichte auch übersetzt. Auf der linken Seite steht das Original auf Arabisch, auf der rechten Seite die deutsche Übersetzung. Es wurde bewusst auf einen Reim im Deutschen verzichtet.

Fazit:
Ein beeindruckendes Buch mit Gedichten, die man so nicht erwartet und auch nicht kennt. Die Frauen beweisen sehr viel Mut und bringen die Dinge auf den Punkt.


Herausgeber:
Khalid al Maaly, geb. 1956 im Irak. Er floh 1979 aus politischen Gründen nach Frankreich, später nach Deutschland. In Köln lebte er ab 1980  als Schriftsteller und übersetzte unter anderem arabische Lyrik. Seit 2008 führt er in Beirut/Libanon seinen eigenen Verlag.

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