Manesse |
Die Flügel meines
schweren Herzens
Khalid al-Maaly
Schon der Untertitel lässt aufhorchen: Lyrik arabischer
Dichterinnen. Natürlich dichten Frauen in Arabien, allerdings finden nur wenige
Bücher geschweigen denn Gedichtbände den Weg in unsere Buchhandlungen. Dies
ändert sich nun mit der Anthologie von Khalid al Maaly. Die ausgewählten
Gedichte geben „einen … Einblick in das Selbstverständnis und die Interessen,
in die Lebenssituation und gesellschaftliche Stellung arabischer Frauen“ vom 5.
Jahrhundert bis heute.
Man staunt über die Freiheiten der arabischen Frau, die
sich u.a. ihren Ehemann selbst aussuchen und ihn verstoßen konnte, wenn sie
wollte. Viele Gedichte sind in der vorislamischen Zeit entstanden und einige
davon recht „freizügig“ formuliert.
Niedergeschrieben wurden die mündlich weitergegebenen Gedichte
erst ab Mitte des 9. Jahrhunderts. Zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert, während
der Abbasidenherrschaft, „traten Sklavinnen vermehrt als Verfasserinnen ...
hervor“. Araber hielten sich schwarze und weiße Sklaven, besonders Könige und
Adelige legten Wert auf eine große Anzahl. Weiße, Frauen und junge Sklaven
wurden bevorzugt und sie wurden unterrichtet, um später einen guten Preis auf
dem Markt zu erzielen. Dichtkunst war neben „Gesang, Tanz, Schach, etc.“ und
sexuellen Qualitäten ein wichtiger Punkt der Ausbildung.
Themen der gesammelten Lyrik sind neben der Liebe viele
Gedanken zum Tod und Trauer, Verlust bei kriegerischen Auseinandersetzungen, „Ansporn
und Aufstachelung zum militärischen Kampf“, Gedichte zum Gefallen der Herrscher
oder „Spott- und Schmähgedichte gegen den Mann“, aber auch Lyrik über die
soziale Stellung der Frau, beispielsweise während der kulturellen Blütezeiten
in der abbasidischen Epoche ab dem 8. Jahrhundert oder später in Andalusien, in
denen die Frauen einen größeren Anteil am kulturellen, künstlerischen und
gesellschaftlichen Leben mit mehr Freiheiten hatten.
Gedicht von Bassma Shaikho aus Syrien (Auszug):
Was tu‘ ich noch hier?
Allein in dieser Stadt
Ich läute sonntags die Glocken ihrer Kirchen
Und rufe von jedem Minarett herab zum Gebet
Ich rufe nach den Verschollenen
Und Bete für alle, die fortgegangen sind
Ich gehe auf den Märkten umher
Käufer und Verkäufer bin ich
Ich schließe um acht
Die Schlüssel der sieben Tore hab‘ ich in der Hand
Ich schließe sie
Und gehe schlafen
Oder um zu sterben
Mir ist das einerlei
Denn ich bin die letzte Bewohnerin von Damaskus …
Die Dichterinnen stammen aus dem Jemen, heutigem Irak,
der arabischen Halbinsel, Andalusien, Algerien, Ägypten, Marokko, Libyen,
Äthiopien, Libanon, Kuwait, Damaskus, Bagdad, etc.
Es empfiehlt sich zuerst die kurze Vorstellung der 59 Frauen
und das Nachwort zu lesen, um die Verschiedenheit der Gedichte und Hintergründe
besser zu verstehen.
Der Herausgeber Khalid al-Maaly hat zusammen mit Heribert
Becker die Gedichte auch übersetzt. Auf der linken Seite steht das Original auf
Arabisch, auf der rechten Seite die deutsche Übersetzung. Es wurde bewusst auf
einen Reim im Deutschen verzichtet.
Fazit:
Ein beeindruckendes Buch mit Gedichten, die man so nicht
erwartet und auch nicht kennt. Die Frauen beweisen sehr viel Mut und bringen
die Dinge auf den Punkt.
Herausgeber:
Khalid al Maaly, geb. 1956 im Irak. Er floh 1979 aus
politischen Gründen nach Frankreich, später nach Deutschland. In Köln lebte er ab
1980 als Schriftsteller und übersetzte
unter anderem arabische Lyrik. Seit 2008 führt er in Beirut/Libanon seinen
eigenen Verlag.