Donnerstag, 7. Mai 2015

Rezension - Der Kampf ums Paradies

Philipp von Zabern

Rezension

Paul M. Cobb

Der Kampf ums Paradies   
Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge

Die Geschichte der Kreuzzüge ist ein beliebtes Thema, das, ob in Filmen oder Büchern, immer wieder gern aufgegriffen wird. Sogar in der heutigen Zeit wird das „mittelalterliche“ Wort Kreuzzug von amerikanischen Präsidenten in den Mund genommen, um ein Land des Nahen Ostens zu zerstören.

Nun erschien ein Buch des amerikanischen Islamwissenschaftlers Paul M. Cobb, der sich als Nichtmuslim an das Thema herangewagt hat, um eine „islamische“ Geschichte der Kreuzzüge zu beschreiben und er bezieht sich auf „Studien von Menschen, die in der islamischen Welt lebten,… in Gegenden, deren herrschende Elite und … Mehrheit der Bevölkerung aus Muslimen bestanden.“

Europa aus islamischer Sicht

Als Einstieg in das Thema beschreibt er das Bild Europas aus dem Blickwinkel von Harun ibn Yahia, der im 9. Jh. als Gefangener in Konstantinopel die Freiheit erlangte und bis nach Rom reiste, und des Geographen Abu Ubayd al-Bakri, der 1070 Rom besuchte und ähnliche Erfahrungen in seinen Beschreibungen wiedergab, als er in seine Heimat al-Andaluz zurückkehrte und Vergleiche zwischen dem Christentum und dem Islam der damaligen Zeit anstellte, die selbstverständlich zu Gunsten des Islam ausfielen. Der Geograph Ibn Khurradadhbih aus Persien hatte kaufmännische Interessen, für ihn waren Handelsgüter aus Europa wichtig. Und wieder ein anderer muslimischer Historiker bezeichnete die Franken als „fernste aller Feinde von Al-Andaluz“, arabisch Ifrandsch oder Firandsch, ein Ausdruck der später für alle Kreuzfahrer stand.

Christen im Haus des Islam

Schon zu Beginn der islamischen Zeitrechnung waren die Bewohner Syriens, Persiens und der arabischen Halbinsel mit Griechen, Römern, Christen vertraut. Als sich der Islam ausbreitete, hatten die Christen als Bekenner der Buchreligion einen Sonderstatus, lebten als „geschützte Minderheit“ und waren kaum eine Bedrohung für das Haus des Islam. Das änderte sich erst, als Muslime und Christen zu späteren Zeiten aufeinander trafen.

Am Vorabend der Kreuzzüge

Daraufhin beschreibt der Autor die verschiedensten Ereignisse, sei es die Eroberung Siziliens durch die Normannen, den Aufstieg der Fatimiden, die ersten Rückeroberungsversuche der nordspanischen Könige um die zersplitterten Taifakönigreiche in Al-Andaluz und die Entwicklung in Anatolien, in dem sich das Turkvolk der Seldschuken und andere turkmenische Nomaden ausgebreitet hatten und 1071 bei der Schlacht von Manzikert der byzantinische Kaiser gefangen genommen wurde. Ebenso klagten zurückkehrende Pilger von Belästigungen durch die türkischen Seldschuken, die gerade erst zum Islam übergetreten waren und es an der „arabischen Gastlichkeit“ fehlen ließen.
Als der byzantinische Kaiser Alexios I. Papst Urban II. um Hilfe gegen die „türkische Bedrohung“ bat, begannen die bekannten Kreuzzüge, die 1099 mit der Einnahme Jerusalems ihren Höhepunkt erreichten.

Die Kreuzzüge und ihre Akteure

Die folgenden Kapitel beschreiben die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen und Personen von Alp Arslan bis Saladin und seine Nachfolger, zwischen Muslimen und Christen. Dabei kam es zu ständigen Wechseln der Machtverhältnisse im Nahen Osten und an der Levanteküste, die der Autor manchmal verwirrend detailreich und präzise schildert. Franken kämpften gegen Herrscher der Stadtstaaten Antiochia, Edessa oder Aleppo, diese wiederum sahen die Eindringlinge zunächst nicht als Eroberer an. Später einigte man sich sogar teilweise mit den Franken, um unliebsame muslimische Kontrahenten zu überfallen.
Geschehnisse in Nordafrika und Andalusien, die meistens nicht als Kreuzzüge sondern als Teil der Geschichte der islamischen Welt beschreiben werden, finden Eingang in Cobbs Buch.

Islamische Geschichte nach den Kreuzzügen

Für viele westliche Historiker ist 1291 mit dem Fall von Akkon, der letzten Kreuzfahrerbastion, die Epoche der Kreuzzüge beendet. Für muslimische Chronisten waren die Konfrontationen an den Grenzen im Osten viel bedeutsamer, die Kreuzzüge der Christen blieben eine Episode in der islamischen Geschichte, da sie die für den Islam wichtigen Orte wie Mekka oder Medina nicht bedrohten. Sie hinterließen kaum Eindruck auf die zivilisierte islamische Welt. Franken blieben auf Zypern und überfielen Ägypten und die  mongolischen Il-Khane drangen auf syrisches Gebiet vor. Ein Höhepunkt der türkischen Ausbreitung war 1453 die Einnahme von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul.  

Autor:
Paul M. Cobb wurde 1967 in den USA geboren und ist Professor für Islamische Geschichte an der Universität Pennsylvania mit Schwerpunkt Geschichte der Kreuzzüge.  

Fazit:
Bevor man in die „Geschichte“ einsteigt, ist es ratsam, den Epilog zu lesen, um zu verstehen, was der Islamwissenschaftler eigentlich vermitteln will. Auf die im Klappentext gestellte Frage, ob die Kreuzzüge bis heute im Zusammenprall der Kulturen nachwirken, gibt er am Ende zur Antwort, dass die islamische Geschichtsschreibung die „weitverbreitete moderne Darstellung der Kreuzzüge als Geburtsstunde eines angeblich epochalen Zusammenpralls zwischen Islam und Christentum“ auch nicht erklären kann.
Im Prolog geht der Autor auf die symbolische Bedeutung Salah ad-Dins als Kämpfer für den Glauben ein, der im Westen als Saladin bekannt ist und eine ebenso große Bedeutung hat. Er betont, dass sein Buch „so gut wie gänzlich“ auf „islamische Originalquellen“ basiert und „die Ereignisse aus Sicht der mittelalterlichen Muslime selbst“ erzählt werden.
Schade, dass er nicht direkt in den Text schreibt aus welcher islamischen Quelle er zitiert und wo welcher westliche Kollege zu Wort kommt. Zu den arabischen und islamischen bekannten Quellen, aus denen Paul M. Cobb schöpft, kommen keine neuen islamischen Quellen hinzu, sondern er füllt sein Buch mit Ansichten westlicher Kollegen, die ebenfalls die bekannten Quellen zitieren. Wo ist also der „neue“ Ansatz, die „neue Seite der Kreuzzugsgeschichte“, wie es der Klappentext verspricht?

Obwohl der Autor das Buch „Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht“ von 1973 kritisiert, schreibt er fast wörtlich davon ab und übernimmt ganze Abschnitte des italienischen Übersetzers und Herausgebers Francesco Gabrieli. Er kritisiert, dass dieser vom Arabischen ins Italienische übersetzte Text nochmals ins Deutsche bzw. Englische, also zweimal übersetzt wurde. Zugleich bemerkt er auf Seite 11 seines Buches, dass „die Fülle an Material fast unerschöpflich ist“ und bisher kaum „als Grundlage einer eigenen Geschichte dienten“, weil „viele Forscher nicht in der Lage waren, das Material zu entschlüsseln“. Da stellt sich die Frage, warum er als Professor für islamische Geschichte mit Schwerpunkt Kreuzzüge nicht „aus dieser Fülle an Material“ zitiert, sondern aus den bekannten Quellen? Oder verstärkt auf die Beiträge seiner ägyptischen oder syrischen Kollegen zurückgreift, die er als Koryphäen auf diesem Gebiet herausstellt, sondern auf europäische oder amerikanische? Zugleich beantwortet er diese Frage mit „letztlich alles eine Frage der Perspektive“. (S. 12)
Hierbei vergaß er seinen amerikanisch-afghanischen Kollegen  Tamim Ansary, der das äußerst interessante Buch „Die unbekannte Mitte der Welt“ 2010 schrieb und ebenfalls aus islamischer Sicht das Thema Kreuzzüge darin aufschlussreich schilderte.

Zusammengefasst kann man sagen, dass dieses umfangreiche Buch interessant ist, für Leser, die sich vorher noch nicht über die Kreuzzüge aus islamischer Sicht informiert haben.