Syrien verstehen |
GERHARD SCHWEIZTER
SYRIEN VERSTEHEN -
Geschichte, Gesellschaft, Religion
Wie kann man sich heute ein Bild von der verworrenen Lage
in Syrien machen? Indem man das Buch von Gerhard Schweizer liest.
Treffend beschreibt der Kulturwissenschaftler die
Geschichte und Entwicklung des Landes bis heute. Schon zur Römerzeit war Syrien
ein Großraum mit vielen verschiedenen Gruppen und Klans. Das Aramäische, die
Sprache von Jesus, wurde fast überall verstanden und gesprochen.
Gerhard Schweizer wandert mit uns durch die Geschichte
dieses alten Kulturraums, der heute in seine Einzelteile zerlegt wird. Dass der
Westen, allen voran Frankreich und Großbritannien, dann USA und Russland einen
großen Anteil an der schrecklichen Lage von heute hat, wird anschaulich
erklärt.
Das Besondere an Syrien ist, dass es eine Zeit gab, in
der Christentum und Islam in Eintracht gelebt werden konnten. So gesehen hat
dies der Autor in Aleppo an der Portalfassade eines alten Handelshauses. Über zwei
benachbarten Fenstern entdeckt er die Symbole von Minarett und Kreuz, die
Gebetsräume für Muslime und Christen liegen direkt nebeneinander. Im 17. und 18.
Jahrhundert wurde Aleppo von Wesiren beider Religionen gemeinsam verwaltet,
obwohl von Aleppo aus die Abwehr der Muslime gegen die Kreuzritter im 13.
Jahrhundert begann. Angeblich ist Aleppo auch einer der ältesten besiedelten
Orte der Menschheit, an der bereits Abraham, Ahnvater aller drei Religionen,
seine Schafe weiden ließ.
In der Omayadenmoschee von Damaskus liegt das Mausoleum
Johannes des Täufers. Die Moschee war zuvor eine christliche Basilika und daneben
steht ein Minarett mit dem Namen Jesus (arab. Issa). Die Legende besagt, dass
Jesus am Tag des Jüngsten Gerichts hier erscheint und das Ende der Welt
verkündet.
Südlich von Damaskus in Bosra, der ehemaligen Hauptstadt
der römischen Provinz Arabia, stand eine Kirche, in der der Mönch Bahira den
Knaben Mohammed als zukünftige wichtige Persönlichkeit erkannt hat, die es zu
schützen galt.
Schon diese Beispiele zeigen die Verknüpfung von
Christentum und Islam, die in früheren Zeiten eher befruchtend als ablehnend
waren.
Mehrmals reiste der Autor nach Syrien und kam ins
Gespräch mit unterschiedlichsten Personen. Er unterhielt sich mit Lehrern, Handwerkern,
Basarhändlern, einfachen Leuten, älteren Männern, syrisch-orthodoxen Christen,
Sunniten, Schiiten oder Ägypter, die in Syrien arbeiten, viele davon mit einem
ängstlichen Blick in die Runde aus Angst vor einem der fünfzehn oder mehr Geheimdienste
und trauten sich kaum offen zu sprechen. Dennoch erhielt der
Kulturwissenschaftler wertvolle und interessante Meinungen über das Leben in
Syrien.
Die 16 Kapitel tragen die informativen Titel, wie: Syrien,
ein Pulverfass?, Das Besondere an Syrien, Toleranz im Namen Allahs, Sunniten
und Schiiten, Der Islam und die Frauen, Islam und modernes Denken, Das Trauma
der Kreuzzüge, Toleranzkrisen des 20. Jahrhunderts, Die Ideologie der
Muslimbrüder oder Auch Feindbilder wandeln sich und gliedern sich in zahlreiche
Abschnitte, die das Land, seine Bewohner und die Politik beleuchten.
Autor:
Gerhard Schweizer, 1940 in Stuttgart geboren, promovierte
an der Universität Tübingen in Empirischer Kulturwissenschaft. Er ist einer der
führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und
Orient. Er gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt und hat dazu
mehrere Bücher veröffentlicht, die als Standardwerke gelten. Einem breiten
Publikum wurde er vor allem durch seine Bücher über den asiatischen und
arabischen Raum bekannt. Gerhard Schweizer lebt als freier Schriftsteller in
Wien, wenn er nicht gerade auf Reisen recherchiert und Material für neue
Reportagen und Bücher sammelt.
Fazit:
Gerhard Schweizer versteht es einmal mehr, den Leser
trotz des schwierigen Themas zu fesseln. Heutige Situationen verknüpft er
geschickt mit historischen Fakten. Durch seinen lebendigen Erzählstil
vermittelt er trockene Geschichte überaus spannend und einprägsam. Besser kann
man die politische Situation in Syrien und den Nachbarländern kaum beschreiben.
Wer sich ein Bild vom jetzigen Syrien machen und gleichzeitig erfahren möchte,
wie es dazu kam, sollte unbedingt auf dieses Buch zurückgreifen. Eine
überzeugende Leistung. Vielen Dank.