Freitag, 19. Februar 2016

Rezension: Das glückliche Ende - Tausendundeine Nacht

C.H.Beck
Rezenison

Claudia Ott

Tausendundeine Nacht - Das glückliche Ende       

“Es ist keine Einsamkeit so einsam wie die des Flüchtlings, welcher abgeschnitten ist von seiner Heimat und Familie.“ und „Wer klug ist, wird sich Trost verschaffen, indem er sich in der Fremde Freunde sucht und so das Unglück zu ertragen lernt.“ Bei diesen Sätzen könnte man glauben, dass sie in den letzten Monaten geschrieben wurden. Aber sie sind Teil einer längeren Geschichte mit dem Titel „Eine Leiche im Flussbett“. Darin heißt es weiter:  „Betritt der Unterdrücker einen Ort, so müssen die Bewohner eilends fort.“ Diese Zeilen sind an Aktualität kaum zu überbieten und doch sind sie Jahrhunderte alt und in der 888. Nacht Teil der neu entdeckten letzten Erzählungen von Tausendundeine Nacht - Das glückliche Ende.


Von Tieren und Menschen

„Schahrasad, du beste Erzählerin aller Zeiten! Lass uns aufregende Geschichten hören!“ Da erzählte sie von Tieren und Menschen, Aussprüche, Witze und Schwänke, „Anekdoten von schlagfertigen Blinden, Schwerhörigen und anderen Versehrten“, Streiche des Schelmen Musabbid oder „Aschabs Abenteuer mit dem geizigen Gouverneur von Medina.“ Und am Ende jeder Nacht hörte sie auf. Doch ihre Schwester Dunyasad forderte sie auf weiterzuerzählen. „…wenn ich dann noch lebe und mich der König verschont?“ bedenkt Schahrasad jedes Mal.

König Schadbacht und sein Wesir

Wir wissen, dass der König neugierig war und so erzählte Schahrasad auch „die Geschichte von König Schadbacht (glückliches Geschick) und seinem Wesir“ im zweiten Teil. Auch dies ist eine Rahmengeschichte und der Wesir sollte nach dreißig Nächten getötet werden. Doch dieser kannte jede Menge Geschichten von Händlern, Einbrechern, Kupplern und wahrer Gastfreundschaft, dem „hässlichen Mann mit der hübschen Frau“ oder den „beiden Gaunern, die sich gegenseitig betrogen“ mit „indischen Motiven und persischen Protagonisten“, die er Nacht für Nacht erzählte und so sein Schicksal hinauszögerte, bis ihm der König glaubte und das Leben schenkte. Allmählich bemerkte auch König Schahriyar, dass Schahrasad den Tod nicht verdient hat.

Sultan Baybars und die sechzehn Offiziere

Nun enthält das vorliegende Buch noch einen dritten Teil. Darin geht es um den mamelukischen Sultan Ruknaddin Baybars al-Bundukani, der tatsächlich von 1260 bis 1277 in Ägypten herrschte und seine sechzehn Offiziere, die ihm Geschichten der einfachen Leute erzählen sollten. Inhalt dieser arabischen Geschichten ist neben anderen „die Tücke der Weiber“ und genau unter diesem Titel stand das Buch jahrelang unbeachtet in der Raschit-Efendi Bibliothek in der anatolischen Kleinstadt Kayseri.

Das glückliche Ende

Im vierten Teil wird das Ende erzählt, doch es ist nicht irgendein Schluss sondern das lange vergessene glückliche Ende der Rahmengeschichte von Tausendundeiner Nacht, die im ersten Teil, den die Arabistin Dr. Claudia Ott von der arabischen Fassung von Muhsin Mahdi neu übersetzte, fehlt.
Endlich erkennt sich König Schahriyar in einer der letzten Geschichten selbst und was er getan hat. Er besinnt sich, um wieder auf den rechten Weg zu gelangen. Seine Hochzeit mit Schahrasad wird zur Doppelhochzeit, denn Dunyasad, die kleinere Schwester, heiratet den Bruder des Königs. Ruhe und Frieden kehren ein und der König gab den Chronisten den Auftrag die vielen Erzählungen aufzuschreiben und in der Schatzkammer aufzubewahren. Lange Zeit danach herrschte ein anderer gerechter König, der die Erzählungen fand, sich köstlich amüsierte und Abschriften anfertigen ließ. So gelangten die aufregenden und spannenden Geschichten aus Tausendundeiner Nacht durch die Reisenden in alle Welt.

Abenteuerliche Übertragung der Kayseri-Handschrift

Frau Dr. Ott konnte 2015 erstmals die Kayseri-Handschrift mit dem glücklichen Ende, die wahrscheinlich zwischen 1400 und 1600 entstanden ist, in Händen halten. Seit wann diese Handschrift in der 1796 gegründeten Raschit-Efendi-Bibliothek liegt, ist nicht belegt.
Die Übersetzung stürzte die Arabistin selbst in ein Abenteuer, das im Nachwort mit Unterstützung von einigen Schwarz-weiß-Bildern anschaulich und spannend beschrieben ist. Ergänzt werden die interessanten Ausführungen mit Erläuterungen zur Transkription und Aussprache, einem umfangreichen Glossar und arabischen Kalligraphien und Ornamenten.

Autorin:
Frau Dr. Claudia Ott, geb. 1968 in Tübingen ist Arabistin, Übersetzerin, Musikerin und gehört international zu den führenden Kennern von Tausendundeine Nacht. Sie hat in Tübingen studiert, in Berlin und Erlangen gelehrt und geforscht und unterrichtet jetzt an der Universität Göttingen.
Ihre deutsche Erstübersetzung der bisher ältesten Handschrift von Tausendundeine Nacht, die den Anfang und die ersten 282 Nächte enthält, wurde von der Kritik gefeiert und schnell zum Bestseller. Für diese Übersetzung erhielt Frau Ott u. a. den Johann-Friedrich-von-Cotta-Preis. Im Manesse-Verlag erschien 2012 die aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragene und umfassend kommentierte Ausgabe von Hundertundeine Nacht nach der andalusischen Handschrift des Aga Khan Museums. 


Fazit:
In der heutigen unruhigen Zeit hat man manchmal das Bedürfnis, in die „heile“ Welt der Märchen zu entfliehen. Die Erzählerin Schahrasad nimmt den Leser auf phantasievolle Reisen in den östlichen Orient bis nach Samarkand und China mit.
Nach der Neuübersetzung der ersten Nächte von Tausendundeine Nacht und der sensationellen Entdeckung einer Handschrift der davon unabhängigen 101 Nächte, konnten nun die letzten 125 Erzählungen bis zum „glücklichen Ende“ erstmals ins Deutsche übertragen werden.
Sehr interessant ist das Nachwort, das die aufregende und umfangreiche Übersetzungsarbeit beschreibt. Wieder ist es Frau Dr. Ott gelungen ein lange Zeit verborgenes Originalmanuskript zu bearbeiten, um den Freunden der „Neuen Orientalischen Bibliothek“ des C.H.Beck-Verlags einen vergnüglichen und amüsanten Lesegenuss zu bereiten.

Wer die Möglichkeit hat eine Lesung oder ein Erzählkonzert mit Frau Dr. Ott zu erleben, wird verzaubert und beschwingt den Abend genießen und sollte diese Gelegenheit einer „Live“-Erzählung der Geschichten aus Tausendundeine Nacht nicht verpassen.