Mittwoch, 20. Januar 2016

Rezension: Traumbild des Herzens

Manesse
Rezension

DSCHALALUDDIN  RUMI

TRAUMBILD  DES  HERZENS

Wenn Sie Ihrer oder Ihrem Liebsten zum Valentinstag ein außergewöhnliches Buch schenken möchten, greifen Sie zum „Traumbild des Herzens“ mit 100 Lebensweisheiten des mystischen Sufis Dschalaluddin Rumi. Der persische Dichter war ebenso berühmt wie sein Kollege Hafiz, dem Goethe seinen „West-Östlichen Diwan“ widmete.

„Die Liebe schenkt den Teil erst und dann das ganze All.
Die Traube ist erst sauer und dann ein süßer Ball.
Und so ist auch die Regel, Herz, wenn der Lenz sich naht:
Erst meldet sich die Katze, dann sing die Nachtigall.“

Orden der Tanzenden Derwische

Rumi lebte von 1207 bis 1273 und wurde in Balch (im Altertum Hauptstadt von Baktrien, an der iranischen Seidenstraße) an der Nordgrenze des heutigen Afghanistan geboren und musste vor dem Mongolen fliehen. Als junger Gelehrter heiratete er in Anatolien, 1228 ließ sich die Familie in der Seldschukenstadt Konya (Türkei) nieder. Rumi wurde nach dem Tod seines Vaters Hofprediger bei den Seldschuken und Begründer des Ordens der Tanzenden Derwische.

Shamsuddin i-Tabriz, der geliebte Freund

In Konya lernte Rumi den Derwisch (persisch: asketischer Mönch) Shamsuddin (Shams i-Tabriz, Sonne aus Tabriz) kennen, der sich nach einer langen Wanderschaft in Konya niederließ. Rumi fühlte sich so sehr von Shams angezogen, dass er seine Familie und seine Anhänger vernachlässigte, was diese mit großer Eifersucht quittierten. Shams floh nach Damaskus, doch Rumi wollte ohne den lieben Freund nicht sein und schickte seinen Sohn Sultan Waled, um Shams zur Rückkehr zu  bewegen. Shams heiratete das Mädchen Kimiya („Elixier“) aus dem Hause des Rumi, welches er sehr liebte und die mystische Beziehung zu Rumi wurde fortgesetzt. Als Kimiya starb, verschwand auch Shams bald darauf, der wahrscheinlich von eifersüchtigen Anhängern Rumis und mit Hilfe mindestens einem seiner Söhne ermordet wurde. Rumi suchte Shams in Damaskus, doch als er bemerkte, dass der geliebte Freund nie mehr zurückkehren würde, fiel er in tiefe Verzweiflung.

„Sterben aus Liebe“

Seinen Schmerz verarbeitete Rumi in tausenden von Versen, in denen der Geliebte weiterlebte und Rumi den Verlust beklagte. In der persischen und arabischen Dichtung findet das „Sterben aus Liebe“ immer neue Wendungen und oft ist damit auch die „ersehnte Vereinigung mit dem göttlichen Geliebten“ gemeint, die die Mystiker anstreben. Rumi drückte damit nicht nur die Liebe zu Shams und seinen irdischen Nachfolgern aus, sondern meint damit symbolisch die Beziehung des Menschen zu Gott. Ein Mystiker begreift die „Schöpfung mit ihren Erscheinungen als Abglanz und Spiegel innerer Wirklichkeiten, göttlichen Realitäten.“

Mathnawi und Diwan

Nach dem Tod Rumis setzte sein Schüler Husanuddin (Schwerter der Religion) Celebi die Leitung des Ordens fort, dem Rumi sein Werk von 26000 Versen diktierte, ein mystisches Gedicht der Lehren der Sufis mit zahlreichen Erzählungen, die nach Art der „Märchen aus 1001 Nacht“ ineinander verschachtelt sind.

Kaum ein anderer persischer Mystiker verarbeitete die „Fülle des Lebens“, die „Empfindungen von Liebe und Freundschaft“, die „Welt des Werdens und des Seins“, Historisches und Alltagsgeschehnisse wie Rumi in seinen Werken, dem „Mathnawi (Bibel der Sufis) und dem Diwan mit rund 3000 Ghaselen und etwa 2000 Vierzeilern, den Ruba’is. Die Ruba’is sind eine besondere Form persischer Dichtkunst, bei der „gleichklingende Wörter eine  verschiedene Bedeutung“ haben und in Variationen die Aussage der ersten Zeilen in der vierten Zeile wieder zur ersten Zeile zurückgeführt wird.

Die Auswahl in diesem Büchlein ist in die drei Abschnitte eingeteilt:

Freundschaft und Liebe:
„Ich bin der Staub, Du die Sonne, die mir das Licht zuteilt.
Ich bin vor Kummer krank, Du das Mittel, das mich heilt.
Ich fliege ohne Flügel und Federn zu Dir hin,
der Bernstein Du, ich ein Stroh nur, von deinem Sog ereilt. “

Leben und Lernen:
„Wer mit Wissen und Verstand ausgestattet wurde,
 der gilt als fähig, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wer aber als hohler Kopf angesehen wird,
 der wird dafür mit Geld vollgestopft. “   

und Musik und Dichtung:
„Deine Vollkommenheit hat meine Liebe entfacht.
Deine Anmut hat mich zum Dichter gemacht.
Es tanzt Dein Traumbild auf der Bühne meines Herzens.
Den schönen Tanz hast Du  mir beigebracht.“

Heiteres, Zartes und Scherzhaftes sowie Leidenschaft und Ekstase lassen sich in einer „sinnlich-erotischen“ und einer „mystischen“ Ebene lesen, die mal fremdartig, mal mitreißend wirkt und den Leser verzaubert. Johann Christoph Bürgel hat die Verse so nachgedichtet, dass sie wie „auf Deutsch verfasst“ klingen und sie in wörtlicher Übersetzung zum Vergleich beigefügt. Die Anmerkungen am Ende des Buches geben Hinweise und Erklärungen zu den Vierzeilern. Ebenso wird der Schlüssel zum Auffinden der Verse in der Ausgabe des persischen Textes von Furuzanfar angegeben.


Johann Christoph Bürgel (geb. 1931) ist Professor emeritus für Islamwissenschaft an der Universität Bern. Für seine Übersetzungen klassischer literarischer Werke aus dem Persischen, Arabischen und Urdu erhielt er 1983 den Rückert-Preis und 1993 den Übersetzerpreis der Stadt Bern. Bürgel ist der Herausgeber der Anthologie „Tausendundeine Welt“ (2007,C.H.Beck) und Übersetzer von Nizami’s „Die Abenteuer des Königs Bahram und seiner sieben Prinzessinnen“ (1997,C.H.Beck). Die „Traumbilder des Herzens“ sind eine Neuausgabe des Manesse-Verlags 2015.


Fazit:
Die „Traumbilder des Herzens“ berühren die Seele. In der heutigen unruhigen Zeit zeigen die Verse der persischen oder arabischen Dichter eine andere Seite, die zu oft übersehen wird oder unbekannt ist und die deutsche Dichter wie Goethe oder Rückert bereits im 18. Jh. zum Nachdichten oder übersetzen inspirierten. Man sollte sich öfter diesem Kunstgenuss einer anderen Kultur zuwenden.

Neben Bürgel hat Friedrich Rückert Rumis Diwan übertragen und besonders gern die Ghaselen nachgedichtet. Dem 150. Todestag Friedrich Rückerts wird am 31. Januar 2016 gedacht.

„Ich sah einen Schelm sitzen auf dem Ross der Erde:
weder Unglaube noch Islam, weder Welt noch Religion!
Weder Recht noch Wahrheit, noch Scharia, noch Gewissheit!
Wer hat in beiden Welten die Kühnheit zu diesem?“