Von Abderrahman Aresmouk
Das vorliegende Buch ist die Dissertation von Abderrahman
Aresmouk an der Phillipps-Universität in Marburg 2013.
Der Autor Abderrahman Aresmouk versucht zu erklären, was
hinter den Begriffen „Islamischer Fundamentalismus“, „Islamismus“ und „Politischer
Islam“ steckt, was Islamismus im Maghreb bedeutet, wie dieser damit umgeht und
wie es gelingen könnte durch umfangreiche Kenntnisse der „politischen,
kulturellen und wissenschaftlichen“ Eigenheiten der Maghrebländer Algerien,
Tunesien und Marokko eine langfristige Partnerschaft der EU bzw. Deutschland
mit der Mittelmeerunion explizit mit den Maghrebländern unter Einbeziehung
islamischer Werte aufzubauen.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich der Autor mit dem Begriff
„Fundamentalismus“, der zuvor den
rückwärts gerichteten Protestanten des 20. Jh. in den USA zugeschrieben wurde.
Der religiöse Fundamentalismus bezieht sich auf Widerstand und Kritik an der
modernen Welt von heute, ist in der christlichen Welt ebenso vorhanden und
wurde auf den Islam übertragen.
Bereits im Mittelalter begannen islamische Philosophen
wie u.a. Ibn Rushd (Averroes) Koran und Sunna zu hinterfragen und zeitgemäß,
d.h. im 12. Jh. zu interpretieren, was man Ischtihad nennt.
Das folgende Kapitel zeigt „Die polithistorischen Voraussetzungen des Maghreb“ und am Beispiel
Algeriens, wie während der 132jährigen französischen Kolonialherrschaft
nationales Bewusstsein der Traditionen und Religion unterdrückt wurden und sich
aus der Befreiung in der nachkolonialen Zeit der islamische Fundamentalismus
entwickeln konnte. Auch nach der Unabhängigkeit wird die „sozioökonomische Dominanz“
der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich als „Fortsetzung des Kolonialismus“
empfunden und diesen Eindruck nutzen die Islamisten für ihre Zwecke.
Die nachkolonialen Regierungen im Maghreb setzten zwar
die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen fort, doch auf politischer
Ebene wurde die Modernisierung im Westen nach dem zweiten Weltkrieg und die
Demokratisierung als mit dem Islam unvereinbar zurückgewiesen. Hätte dieser Weg
doch dem Festhalten an der Macht der autokratischen Herrschaftseliten
entgegengestanden.
Tatsächlich fordert der „Islam die Gleichwertigkeit aller
Muslime“ genauso wie das Christentum die Gleichheit der Gläubigen. Und die
Revolutionen im säkularen Tunesien, in Ägypten wie im traditionalistisch
islamischen Königreich Bahrain wurden von der Bevölkerung wegen der sozialen
Ungerechtigkeiten ausgelöst, die sich gegen die Diktaturen ihrer Regierungen
richteten und nicht aus religiösen Gründen!
Im dritten Kapitel wird die „sozioökonomische Entwicklung“ seit der Unabhängigkeit betrachtet.
In Algerien, wo erschwerend hinzukommt, dass es ein Teil
von Frankreich war, setzte eine Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat ein
und die Haupteinnahmequellen Erdöl- und Gasproduktion wurden verstaatlicht. Man
konzentrierte sich auf die Schwerindustrie und vernachlässigte die Entwicklung
des Mittelstandes, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bildung und das Schulwesen.
Das vierte Kapitel zeigt die „Politisch-ideologischen Tendenzen im postkolonialen Algerien“ auf.
Der von der FLN geprägte Befreiungskrieg, der 1962 zur
Unabhängigkeit führte, legitimierte in den Augen der Mitglieder jahrelang ihren
Anspruch auf die politische Macht und ließ keine Demokratisierung zu. Dabei
diente der „religiös gefärbte Nationalismus“ als Grundlage des
Selbstverständnisses für die Einheitspartei FLN. Darüber hinaus diente die
sozialistisch-kommunistische Ausrichtung nicht der Bevölkerung sondern nur der
Bereicherung der Machtelite. Die Berufung auf den Islam als „einigendes Band
der Nation“ war die einzige unumstrittene Gemeinsamkeit der vielfältigen
algerischen Bevölkerung und die Einheitspartei beschwor damit eine „algerische
Identität“ bzw. einen „algerischen Nationalismus“, der nie eintraf. Aus
Enttäuschung wandten sich Teile der Bevölkerung den islamischen Bewegungen zu,
die mehr und mehr soziale Aufgaben übernahmen und Hilfe anboten. Daraufhin erhielten
sie mehr Einfluss, vor allem auf die Jugendlichen und konnten sich als Konkurrenz
zur Einheitspartei aufschwingen, was sich in den gewonnen Wahlen 1989 zeigte.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit dem „Verhältnis der algerischen Staatsmacht
gegenüber dem politischen Islam“. Hierin wird aufgezeigt, wie die Regierung
der erstarkten FIS entgegentrat und wie in der Ära Bouteflika die „Repressionen
mit subtileren Mitteln“ fortgesetzt werden.
Es werden Wege aufgezeigt, wie der Westen dazu beitragen
könnte, eine algerische Demokratie zu etablieren und dass es mit gemäßigten
Islamistischen Parteien durchaus möglich ist, demokratische Regierungsverantwortung
zu erzielen, die beweisen, dass sich „Islamismus und Demokratie“ nicht
gegenseitig ausschließen.
Im sechsten Kapitel wird der „Arabische Frühling 2011“ untersucht und festgestellt, dass in
Algerien zwar die Bevölkerung unzufrieden ist, aber die Angst vor den Zuständen
der 1990er Jahre überwiegt und es deshalb zu keinen flächendeckenden
Ausschreitungen und keiner Änderung in der algerischen Politik kam.
Das siebte Kapitel „Islamismus
in Algerien aus der Perspektive der EU-Sicherheitspolitik“ beschreibt in
den Unterkapiteln die EU-Außenpolitik in den 1990er Jahren im Konflikt mit
einer Unterstützung der Militärdiktatur und demokratischen Anspruch. Für die EU
hat eine Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus Vorrang vor gutem
demokratischem Regierungsstil. Die Abwehr von Flüchtlingen aus Nordafrika ist
der EU wichtiger als die Hilfe beim Aufbau demokratischer Regierungsformen im
Maghreb.
In seinem Fazit kommt Abderrahman Aresmouk unter anderem
zum Resultat, dass es mit Hilfe der europäischen Nachbarn und einem ehrlichen Dialog
mit allen Partnern, auch den gemäßigten islamistischen Parteien durchaus
gelingen kann, christliche und islamische Werte zusammenzubringen. So wie es in
Europa christliche Parteien gibt, muss man im Maghreb islamische Parteien
akzeptieren.
Fazit
Der Vertrauensverlust der Bevölkerung in die algerische
Regierung führte zur Hinwendung vor allem der frustrierten Jugend zu religiösen
Gruppen, die ab 1970 bis 1980 in den Vorstädten neue Moscheen kreierten. Aus
Mangel an eigenen Lehrkräften für den Arabisch- und Religionsunterricht nach
der Unabhängigkeit, wurden Lehrer aus Ägypten und Saudi-Arabien angeworben, die
neben der Sprache, die völlig anders war als das algerische Arabisch, auch ihre
fundamentalistischen Ideologien mitbrachten, die im Maghreb zuvor unbekannt
waren.
Der Autor zeigt anschaulich wie sich islamistische
Parteien, Bewegungen oder Bruderschaften die Unfähigkeit der Regierungen
zunutze machen und die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerungen (Gesundheitswesen,
Arbeitsplätze, Gemeinwesen) auffangen, um sie gleichzeitig für ihre Ideologien
zu nutzen.
So zeichnet er minutiös am algerischen Beispiel den Weg
der FIS nach, bis sie nach den Wahlen 1989 zur stärksten Partei und daraufhin
verboten wurde. Erst da begannen die Spaltung und der bewaffnete Kampf, der zum
Bürgerkrieg führte. Diesen Konflikt nutzte die Militärregierung für sich, um weiterhin
an der Macht zu bleiben.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass korrupte Staaten,
denen zuvor Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, in dem Moment zu „Freunden“
werden, wenn es den westlichen Staaten nützt, da sie ihre Waffen dorthin
verkaufen können oder Erdöl bzw. Erdgas beziehen wollen.
Jede Entwicklung der Gesellschaft in den islamischen
Ländern wird vom Westen als Bedrohung empfunden, aber es ist nur die geschürte
Angstmache und die einseitige Wahrnehmung, die gesteuert wird. Historiker beschreiben
bevorzugt die kriegerischen Auseinandersetzungen, z.B. zwischen Byzanz und dem
aufsteigenden Islam oder im maurischen Spanien und stellen Islam und
Christentum als Feindbilder gegenüber, wobei ein Jahrhunderte langes
friedliches Zusammenleben der zivilen Bevölkerungen, gerade im Maghreb, und den
gegenseitigen Befruchtungen durch Wissensaustausch und Handel kaum Erwähnung
finden.
Birgit Agada
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Abderrahman Aresmouk
Islamismus im Maghreb
als Herausforderung für die EU-Sicherheitspolitik
Das Beispiel Algerien
Hardcover, 341 Seiten
1.Auflage 2014