Verlag C.H. Beck |
DEN ISLAM
NEU DENKEN
Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte
„Muslime sollen auf das Wort hören und dem Guten von ihm
folgen“. Der Koran fordert die Menschen
also selbst auf, ihn auf die bestmögliche Weise zu lesen.“ Mit diesen Zitaten
beginnt das sehr interessante Buch und weist direkt darauf hin, um was es geht,
nämlich um das Überdenken des Islam mit Hilfe des Koran. Der Koran ist
interpretierbar.
Weit verbreitet ist die Meinung, dass der Islam
rückständig, frauenfeindlich, gegen die Demokratie und Menschenrechte ist. Er
wird als Bedrohung für die sogenannten „westlichen Werte“ angesehen.
Fundamentalisten meinen, dass der Koran nicht interpretiert werden darf und
Wort für Wort gilt, bis in die heutige Zeit. Aber schon nach der Ausbreitung
des Islam im 9. und 10. Jahrhundert gab es bereits Kritiker und im Mittelalter wurde
der Koran von bekannten Philosophen interpretiert.
Katajun Amirpur stellt in ihrem Buch sechs Persönlichkeiten
vor, die sich wichtige Gedanken zum Islam und der Auslegung des Koran machen. Diese
Männer und Frauen kommen aus den Ländern Ägypten, Pakistan, USA, Iran, und
weitere Denker aus anderen Ländern werden zitiert.
Da der Koran für die Muslime der einzig verbindliche Text
der islamischen Religion ist, steht er bei den hier vorgestellten Denkern im
Zentrum ihrer Überlegungen. Jeder der vier Männer und zwei Frauen beschäftigt
sich mit der Analyse der heiligen Schrift und der „Originalität ihrer Gedanken
sowie deren Wirkung“. Es wird untersucht, in wieweit Demokratie und
Menschenrechte mit dem Koran vereinbar sind, das, wie man am arabischen
Frühling ablesen kann, das Bedürfnis der Mehrheit der Muslime ist, sowie das
Neulesen des Koran und Islam in guter Absicht.
Sie lesen den Koran anders, kritisieren und
interpretieren ihn. Ihre Meinungen diskutieren und verbreiten sie mit ihren
Studenten. Dafür werden sie von ihren Regierungen bedroht und/oder müssen ihre
Heimat verlassen. Dadurch ergibt sich aber die Chance, im Ausland Gehör zu
finden und die Möglichkeit in den westlichen Ländern neue Denkweisen über den
Islam anzustoßen.
Die vorgestellten Denker sind:
Der Ägypter Nasr
Hamid Abu Zaid (1943-2010). Er hat oft erlebt, dass der Islam von der
Regierung umgedeutet und manipuliert wurde und war verunsichert. Er wurde von
seiner Frau zwangsgeschieden, da er kritische Texte veröffentlichte. Sie gingen
nach Europa um der Scheidung zu entgehen. Er stellte sich unter anderem die
Frage, wie „wörtlich“ man den Koran nehmen kann, was genau „Gottes Wort“ ist
und geht der Frage nach, ob „Gott Arabisch spricht“.
Der Pakistaner Fazl
ur-Rahman Malik (1919-1988) lehrte islamische Philosophie in
Großbritannien, wurde in Kanada Assistenzprofessor am Institut für
Islamwissenschaft. Zurück in Pakistan nahm er am Modernisierungsprojekt für
bessere Ausbildung teil und gab eine Zeitung heraus. Er übersetzte sein Buch „Islam“
ins Urdu, was ihm Morddrohungen einbrachte.
Die Afroamerikanerin, die als Mary Teasly 1952 in den USA
zur Welt kam. Sie nahm den Islam an und wurde als Amina Wadud bekannt, die als erste Frau das öffentliche
Freitagsgebet in New York leitete, für Frauen und Männer gemeinsam.
Sie forscht im Koran und stellt die Botschaft heraus, die
im Zentrum stehen soll und nicht die „Vorschrift im Detail“. Zum Beispiel steht
im Koran, dass Mann und Frau „sittsam bekleidet“ sein sollen; vom Kopftuch oder
Schleier ist im 7. Jahrhundert nicht die Rede. Sie weist auf
Übersetzungsverschiebungen hin und kommt zu dem Schluss, „dass alles in der
Schöpfung einen Partner“ habe. In der Sure, die die Schöpfung beschreibt sind „beide
Geschlechter gleichgestellt“ und „aus derselben Art“ erschaffen worden, also
gleichberechtigt.
Die Pakistanerin Asma
Barlas (1950 geboren), englisch sprachige Journalistin, studierte englische
Literatur und Philosophie. Sie kritisiert die „traditionell männliche Auslegung“
des Koran in ihrem Buch „Believing Women in Islam“. Sie fordert muslimische
Frauen auf, den Koran selbst zu lesen und zu hinterfragen. Sie fragt sich,
warum „Gott zu Frauen ungerecht sein soll, zu Männern aber nicht“? Wenn alle
Muslime glauben, dass Gott gerecht ist, wieso nehmen sich Männer das Recht
heraus Frauen zu unterdrücken und begründen dies mit „legitimen Praktiken“? Für
Barlas ist eine „Kritik an der Theologie“ und den Interpretationsmethoden
nötig. Interpretation hängt davon ab, wer den Koran liest, ob patriarchalischer
Mann oder Frau.
Der Iraner Farajollah Hajj Hosein Dabbaq (1945 in Teheran
geboren), besser bekannt als Abdolkarim
Soroush, studierte islamische Philosophie,
Theologie und Pharmazie. Nach dem Tod von Ayatollah Khomeini
veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel „Freiheit und Geistlichkeit“ und
kritisierte darin die „Monopolisierung der Religionserkenntnis“ durch die
schiitischen Geistlichen. Dafür erhielt er Morddrohungen. Er tritt für die
Demokratie ein, seiner Meinung nach, die Regierungsform, die die Religion am
besten schützt.
Der Iraner Mohammed
Mojtahed Shabestari, geboren 1936 in der Nähe von Täbris (iranischer Teil
von Aserbeidschan) ist Islamwissenschaftler. Als Geistlicher lebte er 9 Jahre
in Hamburg und leitete das Islamische Zentrum. Seine Idee ist, dass man „Texte
nur subjektiv lesen kann“ und die Vorbildung bzw. das Wissen über ein Thema,
das man bereits hat, in die Lesart miteinfließt. Daraus folgert er „keine
Lesart des Koran kann beanspruchen die einzig Richtige zu sein“. Es geht ihm auch darum, in welcher konkreten
Situation der Text geschrieben wurde und stellt sich die Frage, wie kann man
den Menschen in der modernen Welt Gott näher bringen und glaubt, dass Gott die
Freiheit des Menschen respektiert und der Mensch aus freiem Willen glaubt und
nicht unter Zwang.
Autorin:
Katajun Amirpur wurde 1971 in Köln geboren. Sie ist
Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. Sie studierte Islamwissenschaften
und Politologie in Bonn und islamische Theologie in Teheran. Die
Islamwissenschaftlerin schreibt auch als Journalistin für große Zeitungen und
Zeitschriften. Sie ist verheiratet mit dem Orientalisten und Schriftsteller
Navid Kermani.
Fazit:
Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt, wobei die ersten
beiden den Leser an die Thematik heranführt, Begriffe erklärt, weitere Denker
vorstellt, die im 19. Jahrhundert bereits neue Interpretationen formulierten.
Sie versuchten die „Vereinbarkeit von Islam und Demokratie“ zu ergründen. Für
ihre Ideen wurden sie im Gefängnis gefoltert und mussten ins Exil flüchten.
Auch die Stellung der Frau wird heute, nicht nur von
Frauen, im Koran und Islam überprüft und es zeigt sich, dass selbst der Prophet
mit seinen Frauen besser umging, als so mancher Patriarch heute. Frauen
beziehen sich sogar auf den Koran, um sich gegen Unterdrückung und Gewalt zu
wehren. Dass der Islam zu Europa gehört, gilt schon seit dem frühen Mittelalter
und nicht erst in der heutigen Zeit, und so wird auch in Europa und Deutschland
über den Islam „neu gedacht“. Religion
ist das, was der Mensch daraus macht, auch im Islam.
Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur allgemeinen
Diskussion über den Islam, Koran und die arabische Welt in der heutigen
Situation. Die Wissenschaftler, die hier zu Wort kommen, setzen sich für
Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Frauenrechte ein. So wie sich die
Bibel und die Kirche modernisieren, können sich auch der Koran und der Islam an
die heutige Zeit anpassen. Der „arabische Frühling“ zeigt, dass die Bürger in
den arabischen Ländern die gleichen Alltagssorgen und Probleme haben, wie die Bürger
der „westlichen Welt“.
Dieses Buch zeigt Möglichkeiten gemeinsam „den Islam neu
zu denken“. Der Islam bzw. der Koran an sich ist keine Bedrohung. Wie die
Schriften gedeutet und angewendet werden,
geht auf die Menschen zurück. Muslime leben überall auf der Welt, sie haben
sich schon seit langem angepasst. In den Ländern der arabischen Welt fängt die
Reform jetzt an.
Vielen Dank für dieses interessante, wichtige Buch, das
sehr zu empfehlen ist.
Katajun Amirpur
Den Islam neu
denken
Klappenbroschur mit 5 Abbildungen
256 Seiten
1.Auflage 12.02.2013
Preis: Euro 14,95
Verlag C.H.Beck, München