Montag, 22. April 2013

Rezension: Den Islam neu denken

Verlag C.H. Beck
KATAJUN  AMIRPUR

DEN  ISLAM  NEU  DENKEN
Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte


„Muslime sollen auf das Wort hören und dem Guten von ihm folgen“.  Der Koran fordert die Menschen also selbst auf, ihn auf die bestmögliche Weise zu lesen.“ Mit diesen Zitaten beginnt das sehr interessante Buch und weist direkt darauf hin, um was es geht, nämlich um das Überdenken des Islam mit Hilfe des Koran. Der Koran ist interpretierbar.

Weit verbreitet ist die Meinung, dass der Islam rückständig, frauenfeindlich, gegen die Demokratie und Menschenrechte ist. Er wird als Bedrohung für die sogenannten „westlichen Werte“ angesehen. Fundamentalisten meinen, dass der Koran nicht interpretiert werden darf und Wort für Wort gilt, bis in die heutige Zeit. Aber schon nach der Ausbreitung des Islam im 9. und 10. Jahrhundert gab es bereits Kritiker und im Mittelalter wurde der Koran von bekannten Philosophen interpretiert.

Katajun Amirpur stellt in ihrem Buch sechs Persönlichkeiten vor, die sich wichtige Gedanken zum Islam und der Auslegung des Koran machen. Diese Männer und Frauen kommen aus den Ländern Ägypten, Pakistan, USA, Iran, und weitere Denker aus anderen Ländern werden zitiert.

Da der Koran für die Muslime der einzig verbindliche Text der islamischen Religion ist, steht er bei den hier vorgestellten Denkern im Zentrum ihrer Überlegungen. Jeder der vier Männer und zwei Frauen beschäftigt sich mit der Analyse der heiligen Schrift und der „Originalität ihrer Gedanken sowie deren Wirkung“. Es wird untersucht, in wieweit Demokratie und Menschenrechte mit dem Koran vereinbar sind, das, wie man am arabischen Frühling ablesen kann, das Bedürfnis der Mehrheit der Muslime ist, sowie das Neulesen des Koran und Islam in guter Absicht.
Sie lesen den Koran anders, kritisieren und interpretieren ihn. Ihre Meinungen diskutieren und verbreiten sie mit ihren Studenten. Dafür werden sie von ihren Regierungen bedroht und/oder müssen ihre Heimat verlassen. Dadurch ergibt sich aber die Chance, im Ausland Gehör zu finden und die Möglichkeit in den westlichen Ländern neue Denkweisen über den Islam anzustoßen.

Die vorgestellten Denker sind:
Der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid (1943-2010). Er hat oft erlebt, dass der Islam von der Regierung umgedeutet und manipuliert wurde und war verunsichert. Er wurde von seiner Frau zwangsgeschieden, da er kritische Texte veröffentlichte. Sie gingen nach Europa um der Scheidung zu entgehen. Er stellte sich unter anderem die Frage, wie „wörtlich“ man den Koran nehmen kann, was genau „Gottes Wort“ ist und geht der Frage nach, ob „Gott Arabisch spricht“.

Der Pakistaner Fazl ur-Rahman Malik (1919-1988) lehrte islamische Philosophie in Großbritannien, wurde in Kanada Assistenzprofessor am Institut für Islamwissenschaft. Zurück in Pakistan nahm er am Modernisierungsprojekt für bessere Ausbildung teil und gab eine Zeitung heraus. Er übersetzte sein Buch „Islam“ ins Urdu, was ihm Morddrohungen einbrachte.

Die Afroamerikanerin, die als Mary Teasly 1952 in den USA zur Welt kam. Sie nahm den Islam an und wurde als Amina Wadud bekannt, die als erste Frau das öffentliche Freitagsgebet in New York leitete, für Frauen und Männer gemeinsam.
Sie forscht im Koran und stellt die Botschaft heraus, die im Zentrum stehen soll und nicht die „Vorschrift im Detail“. Zum Beispiel steht im Koran, dass Mann und Frau „sittsam bekleidet“ sein sollen; vom Kopftuch oder Schleier ist im 7. Jahrhundert nicht die Rede. Sie weist auf Übersetzungsverschiebungen hin und kommt zu dem Schluss, „dass alles in der Schöpfung einen Partner“ habe. In der Sure, die die Schöpfung beschreibt sind „beide Geschlechter gleichgestellt“ und „aus derselben Art“ erschaffen worden, also gleichberechtigt.

Die Pakistanerin Asma Barlas (1950 geboren), englisch sprachige Journalistin, studierte englische Literatur und Philosophie. Sie kritisiert die „traditionell männliche Auslegung“ des Koran in ihrem Buch „Believing Women in Islam“. Sie fordert muslimische Frauen auf, den Koran selbst zu lesen und zu hinterfragen. Sie fragt sich, warum „Gott zu Frauen ungerecht sein soll, zu Männern aber nicht“? Wenn alle Muslime glauben, dass Gott gerecht ist, wieso nehmen sich Männer das Recht heraus Frauen zu unterdrücken und begründen dies mit „legitimen Praktiken“? Für Barlas ist eine „Kritik an der Theologie“ und den Interpretationsmethoden nötig. Interpretation hängt davon ab, wer den Koran liest, ob patriarchalischer Mann oder Frau.

Der Iraner Farajollah Hajj Hosein Dabbaq (1945 in Teheran geboren), besser bekannt als Abdolkarim Soroush, studierte islamische Philosophie,  Theologie und Pharmazie. Nach dem Tod von Ayatollah Khomeini veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel „Freiheit und Geistlichkeit“ und kritisierte darin die „Monopolisierung der Religionserkenntnis“ durch die schiitischen Geistlichen. Dafür erhielt er Morddrohungen. Er tritt für die Demokratie ein, seiner Meinung nach, die Regierungsform, die die Religion am besten schützt.

Der Iraner Mohammed Mojtahed Shabestari, geboren 1936 in der Nähe von Täbris (iranischer Teil von Aserbeidschan) ist Islamwissenschaftler. Als Geistlicher lebte er 9 Jahre in Hamburg und leitete das Islamische Zentrum. Seine Idee ist, dass man „Texte nur subjektiv lesen kann“ und die Vorbildung bzw. das Wissen über ein Thema, das man bereits hat, in die Lesart miteinfließt. Daraus folgert er „keine Lesart des Koran kann beanspruchen die einzig Richtige zu sein“.  Es geht ihm auch darum, in welcher konkreten Situation der Text geschrieben wurde und stellt sich die Frage, wie kann man den Menschen in der modernen Welt Gott näher bringen und glaubt, dass Gott die Freiheit des Menschen respektiert und der Mensch aus freiem Willen glaubt und nicht unter Zwang.


Autorin:
Katajun Amirpur wurde 1971 in Köln geboren. Sie ist Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. Sie studierte Islamwissenschaften und Politologie in Bonn und islamische Theologie in Teheran. Die Islamwissenschaftlerin schreibt auch als Journalistin für große Zeitungen und Zeitschriften. Sie ist verheiratet mit dem Orientalisten und Schriftsteller Navid Kermani.

Fazit:
Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt, wobei die ersten beiden den Leser an die Thematik heranführt, Begriffe erklärt, weitere Denker vorstellt, die im 19. Jahrhundert bereits neue Interpretationen formulierten. Sie versuchten die „Vereinbarkeit von Islam und Demokratie“ zu ergründen. Für ihre Ideen wurden sie im Gefängnis gefoltert und  mussten ins Exil flüchten.

Auch die Stellung der Frau wird heute, nicht nur von Frauen, im Koran und Islam überprüft und es zeigt sich, dass selbst der Prophet mit seinen Frauen besser umging, als so mancher Patriarch heute. Frauen beziehen sich sogar auf den Koran, um sich gegen Unterdrückung und Gewalt zu wehren. Dass der Islam zu Europa gehört, gilt schon seit dem frühen Mittelalter und nicht erst in der heutigen Zeit, und so wird auch in Europa und Deutschland über den Islam „neu gedacht“.  Religion ist das, was der Mensch daraus macht, auch im Islam.

Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur allgemeinen Diskussion über den Islam, Koran und die arabische Welt in der heutigen Situation. Die Wissenschaftler, die hier zu Wort kommen, setzen sich für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Frauenrechte ein. So wie sich die Bibel und die Kirche modernisieren, können sich auch der Koran und der Islam an die heutige Zeit anpassen. Der „arabische Frühling“ zeigt, dass die Bürger in den arabischen Ländern die gleichen Alltagssorgen und Probleme haben, wie die Bürger der „westlichen Welt“.

Dieses Buch zeigt Möglichkeiten gemeinsam „den Islam neu zu denken“. Der Islam bzw. der Koran an sich ist keine Bedrohung. Wie die Schriften  gedeutet und angewendet werden, geht auf die Menschen zurück. Muslime leben überall auf der Welt, sie haben sich schon seit langem angepasst. In den Ländern der arabischen Welt fängt die Reform jetzt an.
Vielen Dank für dieses interessante, wichtige Buch, das sehr zu empfehlen ist.


Katajun Amirpur
Den Islam neu denken
Klappenbroschur mit 5 Abbildungen
256 Seiten          
1.Auflage 12.02.2013
Preis: Euro 14,95   
Verlag C.H.Beck, München